Freitag, 28. Februar 2020

Neon Apinat, Neon Aklahat


Eine Zeugenformel der rituellen Rede

Das parallele Lexempaar Neno Pinat, Neon Aklahat oder variiert Neon Apinat, Neon Aklahat nennt den Uis Banam, den obersten Regenten der Nope-Dynastie, bei seinem machtvollsten Titel, und ruft diesen als Zeugen für die Richtigkeit des Inhalts einer Tonis-Dichtung an. Uis Banam ist der Titel des Herrschers (usi) des feudalen Amanubans. Er war für Jahrhunderte, unterstellt man den Atoin Meto die europäische Adelsnomenklatur, der König von Banam. Das Substantiv usi, metathesiert uis, ist die Titulatur, mit der ranghöchste der politischen Funktionsträger der Aristokratie des feudalen Amanubans angeredet wurde. Seine Vasallen, die mit ihm alliierten Verbündeten, die untergebenen Fürsten der einzelnen Territorien, wurden wie ein Usif genannt.
Das Uab Meto kennt aber das Verb na=uis, das im Kontext der christlichen Liturgie in der Bedeutung von verehren, huldigen, Gott Ehre und Respekt bezeugen, verwendet wird. Während der Titel usi allein für den obersten Regenten des feudalen Gesellschaftssystems reserviert war, redete man die Repräsentanten der exekutiven Funktionen der feudalen Bürokratie mit usif an. Das Verb nauis drückt nun genau die Empfindungen aus, die die Bevölkerung des feudalen Amanuban einst ihren Herren und Herrschern (tuan / usi) bis heute entgegenbringen.
Pieter Middelkoop leitet diese Titulatur vom javanischen Titel Gusti ab (Middelkoop, 1960:21). Ich kann dieser Etymologie nur bedingt zustimmen. In der Literatur über das politische System der Atoin Meto finden sich undifferenziert die Nomen usi / usif, ohne dass im Einzelfall immer deutlich wird, welcher politische Funktionsträger gemeint ist. Ausschließen kann ich allerdings nicht, dass bei der Übernahme hindu-javanischer Symbolsysteme zur Wirksamkeitssteigerung und Stabilisierung politischer Macht und Kontrolle die klanglichen Assoziationen zwischen nauis, usi und gusti genutzt wurden. Die Existenz der beiden Nomen Usi und Usif weist auf eine weitere Schwierigkeit hin, die Middelkoop übergeht. Er überträgt Usif mit the highest chief i.e. the king ins Englische, ignoriert dabei aber die feine Unterscheidung, die das finale -f bewirkt. Wäre Usif die gebräuchliche Anrede für den hohen Adel im feudalen Amanuban gibt es keine Möglichkeit den höchsten Regenten von seiner untergebenen Bürokratie durch einen Titel zu unterscheiden. Das Nomen Usif setzt grammatisch aus dem Wortstamm Usi und dem Suffix [-f] zusammen. Middelkoop (ebd. S.21) nimmt an, dass ein [-f] bei Substantiven wie beispielsweise monef-atonif, der männlichste Mann als Anrede des Bruders der Mutter in den Lebenszyklusriualen, lediglich als Hinweis auf etwas oder jemand Besonderen ausdrückt, beispielsweise eine besonders imponierende Eigenschaft gemeint. Clarke E. Cunningham versteht diesen Suffix im Insana-Dialekt des Uab Meto in einen Zusammenhang mit Respekt und Ehrerbietung: ama, Vater; ama=f, vatergleicher Mann. In Amanuban war niemand geneigt, die von Cunningham angegebene Bedeutung zu unterstützen, sondern man verwies mit Nachdruck darauf, dass die Funktion des [-f] darin besteht, ein Substantiv in seiner Bedeutung so zu erweitern, dass etwas so ist wie der Wortstamm oder so ähnlich, identisch ist mit dem Wortstamm. Aus diesem Grund bezeichnet Usif jemanden,der wie ein Usi ist, aber doch keiner ist. Er ist ihm in Macht und Presige nur ähnllich. Die [-f]-Suffigierung gibt also an, dass Ergänzung und Entsprechung oder sogar Identität gemeint ist. Obwohl der hier aufgezeigte semantische Unterschied zwischen Usi und Usif nur gering ist, ist er hinsichtlich der Verwendung dieser Titulatur entscheidend, da nur so die politische Hierarchie innerhalb der Atoin Meto-Aristokratie, in der der Usi die Spitze einer Pyramide einnimmt, deutlich sichtbar wird. Der Titel Usi gebührt allein dem höchsten politischen Regenten, und der war in Amanuban bis in die 1950er Jahre immer ein Mitglied der Nope-Dynastie. Der Titel Usif steht dagegen für die Funktionsträger des exekutiven Zweigs der Nope-Dynastie sowie für die vielen Lehensträger dieser Dynastie in Amanuban.

Das parallele Lexempaar Neno Apinat / Neno Aklahat weist durch die beiden Wortstämme pina,strahlen, und nlal, rösten, Eigenschaften der Sonne, auf die himmlische Herkunft des Uis Banam hin. Die Substantivierung des Verbstamms pina in der a-Stamm-t-Form bezeichnet denjenigen, der für den Prozess verantwortlich ist, der durch den Verbstamm angegeben wird (a=pina=t, der Strahlende). Die Stamm-t-Form bezeichnet das Ergebnis der durch den Verbstamm angegebenen Bedeutung (pina=t, das Strahlen). In der wörtlichen Übersetzung bedeutet Neon Apinat deshalb Neno der Strahlende, während Neno Pinat das Strahlen des Neno meint.
Der Name Neno besitzt im Uab Meto gleich mehrere Bedeutungen, die sich alle auf etwas Himmlisches beziehen:

  • Tag (neno) wie in neno i (heute, der heutige Tag), neno mese (erster Wochentag, Montag);
  • in Verbindung mit dem Mond (funan) bezeichnet neno in den Texten der Tonis-Dichtung die Sonne, während das entsprechende Lexem der Alltagsprache manas (Sonne) ist. Neno in der Bedeutung von Sonne findet auch bei der Bezeichnung der Himmelsrichtungen Anwendung wie in neonsaet, Sonnenaufgang (Osten), neontes, Sonnenuntergang (Westen);
  • Himmel, neno, wie in Uis Neno, bedeutet Fürst des Himmels, dass die Erde beschirmende Himmelsgewölbe, das dort kreisende Tagesgestirn, die personifizierte Sonne, dem die Menschen Licht, Wärme und damit ihr Leben verdanken, eine Überzeugung, die sich in dem eng gesteckten Rahmen der Abhängigkeit von Monsunregen und Sonne bewegt.

Diese Symbolik von Neno in Alltagssprache und Tonis-Dichtung, deren prinzipielle Bedeutungselemente Tag, Licht, Himmel oder Sonne sind, überliefert auch der Erzählkreis der mysteriösen Herkunft des Sonba`i, des Herrn und Herrschers in Molo, Miomafo, Pai Neno und Oenam. In seiner Textsammlung zur Person dieser Herrschergestalt berichtet P. Middelkoop von der ambivalenten Einstellung der Atoin Meto hinsichtlich der mythischen Herkunft des Herrschers dieser Territorien nördlich von Amanuban (Middelkoop, 1938:394). Eine narrative Variante der Herkunft des Sonba`i bezeichnet ihn als jüngeren Bruder des legendären Liurai von Wehali-Waiwiku (Südbelu), der auf der Suche nach freiem Siedlungsraum westwärts zog. Auch die mündliche Dichtung aus Kuan Fatu bewahrt die Herkunft des Sonba`i und nennt ihn den jüngeren Bruder des Liurai und des Uis Banunaek in Südamanatun. Dort geht man davon aus, dass einst drei Brüder aus dem Westen mit einem Boot an der Südküste Timors strandeten, dort wo sich der Tun Am erhebt, an der Küste des heutigen Boking. F.A.E. van Wooden berichtet in seiner Dissertation von 1935:

A south Tétun myth reported by Grijzen runs as follows: some hunderd years ago four tribes (hutun rai hat, literally: tribes, countries, four) left their country, Sina Muti Malakkan (China white Malaya) in order to find somewhere else to live (...). Three of the four tribes had leaders, but the fourth had none. The three headmen, who were brothers, had brought various objects and goods with them from their homeland (...). The colonists, because of their better weapons, were able to bring the indigenous population - (...) - under subjection with little difficulty (...) The ruling house of Waihale employed an indirect method of extending its sway, by founding new settlements and by marrying its daughters to the rulers of the first population (van Wouden, 1968, S.45-47 sowie S.49-57).

J.Ch. Sapay bewahrt die Herkunft (Malaya) und die Namen von drei Brüdern und erzählt weiter, dass es nicht nur drei Brüder waren, sondern dass sich in dem gestrandeten Boot außerdem der Vater dieser drei Männer sowie weitere Familienangehörige befanden. Weit von ihrer Heimat, ohne Hoffnung und Nahrung, beschlossen die Brüder, ihren Vater, der diesen Plan guthieß, zu essen, damit nicht alle verhungerten. Sapay überliefert ihre ursprünglichen Namen als Mea, Luku Neno und Ba`i. Nachdem sie ihren Vater getötet und gegessen hatten, trennten sich die Brüder am Tun Am.
In einer Erzählung, die M.S. Laubscher als Schöpfungsmythe klassifiziert, kommt Sonba`i, schmutzig und in Lumpen gehüllt von Osten (aus der Richtung der aufgehenden Sonne, aus Belu), verwandelt sich nach seiner Ankunft aber schnell in einen strahlenden Prinzen. Auch Nope, dessen Laufbahn als Uis Banam im Viehkraal von Abi Neno in Amarasi begonnen hatte, betritt die historische Bühne Timors in der Gestalt des Außenseiters, arm, zerlumpt und verschmutzt, bevor er sich listig und verschlagen seine neue Rolle erobert und er Nai Nuban und seinen Krieger-Kopfjägern (meo) als Lichtgestalt, leuchtend wie Gold, in einer Höhle auf dem Hügel Tunbesi erscheint. Beide Herkunftsmythen, der Sonba`i-Mythos wie ihn Middelkoop vor über fünfzig Jahren aufgezeichnet hat sowie der Nope-Mythos den Sapay heute erzählt, greifen ein Thema auf wie es in Atoin Meto-Mythen weiterverbreitet ist: Der arme Bettler, der sich durch Glück, Mut und List in einen leuchtenden Prinzen verwandelt.

Apinat ist die Substantivierung des Wortstamms pina, der in seiner Verbform na=pina strahlen, glänzen, leuchten bedeutet und unmittelbar auf diese Qualität der Sonne bezogen ist; sie ist Apinat, die Glänzende, die Strahlende. Das Nomen Neno war früher anscheinend der höfischen Sprache und dem Tonis-Register vorbehalten. Daneben findet man in den Pseudo-Tonis-Texten der ländlichen Bevölkerung den Ausdruck Man Apianat in der gleichen Bedeutung. Während Neno der personifizierte Himmel, die Sonne als abstrakte Qualität bezeichnet, meint Manas, den Stern, die Sonne als am Himmel anschaulich gegebenes Gestirn.
Die Bedeutung von Aklahat lässt sich nur über den Umweg über alalat, erhellen vertehen, ein Molo-Lexem, das immer wieder als Synonym für aklahat auftaucht. In manchen Tonis-Dichtungen stößt man auf den pleonastisch anmutenden Parallelismus aklahat / alalat. Das in Molo gesprochene Uab Meto verwendet das Nomen alalat in der gleichen Absicht wie die Tonis-Rede in Amanuban aklahat. In Molo bezeichnet das Verb nlal eine bestimmte Art des Röstens am Feuer, wobei Fleisch oder Ähnliches an einer Seite des Feuers langsam gegart wird. In Amanuban bedeutet nse`i das Grillen oder Rösten von Fleisch und anderem. Gemeint ist damit allerdings eine ganz andere Art der Zubereitung: nse`i ist ein Grillen oder Rösten über dem Feuer und nicht an seiner Seite. Möglicherweise sind die Dichter-Sprecher auf das Molo Verb nlal gekommen, weil das Amanuban-Idiom des Uab Meto keinen adäquaten Begriff besitzt. Das alltagssprachliche nse`i in Bezug auf den höchsten Regenten, den Uis Banam, zu verwenden, mag den Dichter-Sprechern in Amanuban womöglich wie ein Sakrileg vorkommen. Feuer, Wärme und Hitze sind in den Texten die Qualitäten der alles erhaltenden und alles vernichtenden Macht der Sonne wie des Uis Banam. Würde die Substantivierung von nse`i als Symbol für den Uis Banam verwendet, so würde dessen Macht durch die Assoziation, dass sich etwas über diesem absoluten, von einem Gott abstammenden Herrscher befindet, wie das geröstete Fleisch über dem Feuer, herabgesetzt. Nlal kann dagegen die Eigenschaften dieser Energiequelle hervorragend symbolisieren, einer Energiequelle, der sich der einfache, unwürdige Untertan respektvoll und unterwürfig von der Seite her nähert, immer den notwendigen Abstand einhaltend, damit ihn der Blick des Uis Banam oder die von ihm abstrahlende Energie nicht verbrennt.
A=hoi=t oder ahoit alalat ist eine weitere der üblichen Anreden, die in der höfischen Sprache Amanubans für soziale oder politisch ranghöhere Personen bei der Begegnung und in der Kommunikation verwendet wird. Im feudalen Amanuban war diese Anrede ebenfalls dem Uis Banam vorbehalten und anderen bei Androhung des Todes verboten. Diese Anrede bringt die Selbsterniedrigung desjenigen zum Ausdruck, der sich dem Uis Banam nähert und mit ihm spricht. Wie das Molo-Verb nlal bezieht sich auch das Amanuban-Verb hoi auf eine Wärmequelle, die im ersten Fall etwas gart und die im zweiten Fall etwas trocknet (hoi, in der Sonne trocknen). Es besteht Grund zu der Annahme, dass das die Tonis-Dichtungen in Amanuban ursprünglich die Anrede ahoit verwendet haben. Die Suche nach immer neuen, Außenstehenden unverständlichen Wortbildungen, führte im Lauf der Zeit zur Entlehnung von alalat und später zur weiteren Kodierung aklahat.
Uis Amnanut, der große Herr (a=mnanu=t als Substanitiverung des Wortstamms mnanu, lang; atoin hae mnanu, Mensch mit langen Beinen, ein großer Mensch), ist eine weitere Anrede, die in Tonis-Dichtungen für den höchsten politischen Potentaten Banams vorkommt. Aber auch der Gott Uis Neno, der Fürst des Himmels, der höchste Gott (afinit, amnanut) sowie der oberste Regent in Insana, der Us Finit, der Supreme Lord Of Heaven (afinit anesit) schwingt in dieser Anrede mit. Der längste Wurzelausläufer des einst im Zentrum jeder Siedlung üblichen, dreigabeligen Baum-Altars (tola) trug als Symbol für den Himmel den Namen Uis Neno mManu, der große Uis Neno, im Gegensatz zu dem kleineren Uis Neno Pala, der kleine Uis Neno, der die Erde repräsentierte.

Zuletzt weist auch die Bezeichnung Neno In Anan, des Himmels beziehungsweise der Sonne Kind, für den Uis Banam auf die himmlische Herkunft dieses Regenten, auf seine göttliche Abstammung, hin. Heute ist dieser Titel für alle ranghöheren Personen in Gebrauch und durch christliches Gedankengut entschärft. Auch das parallele Lexempaar Neon Apinat / Neon Aklahat bezeichnet in den Tonis-Dichtungen den Uis Banam als den Sonnengleichen, als denjenigen, der leuchtet und strahlt wie die Sonne, denjenigen der Sonnenwärme abstrahlt, Leben erhält, garantiert und ermöglicht. Er ist das Gott-Kind (Neno Anan). Sein Ursprung ist der vorchristliche Gott der Atoin Meto, der Himmel, die Sonne seine täglich sichtbare irdische Manifestation. Der Uis Banam, das Gott-Kind, ist der Repräsentant der Sonne auf Erden.

Ohne zu behaupten, dass die Bedeutung des Verses Neon Apinat / neon aklahat, Himmel, du Strahlender / Sonne, du Versengende, in Amanuban heute von jedem so verstanden wird, berücksichtigt die hier vorgeschlagene Übersetzung die Vielschichtigtkeit dieser Metapher. Die Symbolik des kodierten Tonis-Registers war zu keiner Zeit allgemein verständlich, war nie mehr als latentes, esoterisches und nur Spezialisten zugängliches Wissen. In einer Zeit, in der Bedeutung und inhaltlicher Umfang der Tonis-Metaphern mehr und mehr verflachen, kann die simplifizierende, da wörtlich genommene Übersetzung dieser poetischen Metapher nicht widerspruchslos hingenommen werden. Die Übersetzung von Neon Apinat / Neon Aklahat als shining day glowing day, wie in Andrew McWilliam Studie über Nabuasa` (1989:196 ), mag zwar den Interessen von christlicher Kirche und Nationalstaat entgegenkommen, der Dokumentation und Sicherung des kulturell relevanten Wissens der Atoin Meto schadet sie dagegen sehr.


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