Freitag, 10. Januar 2020

Seo, Sapay und Babys


Urheber und Textproduzenten der Kuan Fatu-Chronik

Drei Persönlichkeiten aus Amanuban, Charles Zeth Babys (Oebesa, Westamanuban), Johan Christian Sapay (Nakmofa, Südamanuban) und Musa Leni Seo (Kele, Südamanuban), waren übereingekommen, die mündlichen Dichtungen ihrer regionalen Geschichte mit meiner Hilfe zu dokumentieren und zu verschriftlichen, damit sie für die folgenden Generationen bewahrt werden. Sie waren nicht die einzigen, aber die wichtigsten, denn ohne ihr Engagement und ihre Beziehungen - zu indonesischen Behörden, den beiden Konfessionen und Repräsentanten einflussreicher Namengruppen in Südamanuban - wäre dieses Projekt nicht zustande gekommen. Ihnen allen gebührt mein Dank.

Charles Zeth Babys

Charles Zeth Babys, eine charismatische Persönlichkeit Mitte fünfzig mit einer jahrzehntelangen Sozialisation in der indonesischen Bürokratie, war während meiner Anwesenheit in Amanuban mein Nachbar in Oebesa mit regelmäßigen familiären Kontakten. Früher war er als Lehrer beschäftigt, jetzt ist er Vorsitzender der Partai Demokrasi Indonesia (PDI) im Kabupaten Timor Tengah Selatan (TTS), Vize-Sekretär (Wakil Sekretaris) der Provinzverwaltung (Nusa Tenggara Timur) in Kantor Gubernor in Kupang sowie Vorsitzender einer freien Trägerorganisation, der Yayasan-Stiftung (Yayasan Kasimo), die soziale, und landwirtschaftliche Entwicklungsprojekte in TTS durchführt. Darüber hinaus engagiert er sich im Vorstand der Kirchengemeinde der Gereja Katolik St. Maria Mater Dolorosa.
Andere indigene politische Funktion haben ihm seine Vorfahren, die vorindonesische, feudale Vergangenheit Amanubans, hinterlassen, die ihn trotz seiner pro-indonesischen Orientierung an die Geschichte seiner Kultur bindet. Vergangen ist diese Zeit aber nur in der Perspektive des indonesischen Staates und der beiden christlichen Kirchen, in deren Einflussbereich Vertreter der indigenen Weltanschauung als Heiden oder Animisten diffamiert werden, die von der sozialen Mobilität im modernen Indonesien weitgehend ausgeschlossen sind. Die indigene Kultur der Atoin Meto war in Amanuban Ende des 20. Jahrhunderts kein öffentliches Thema.
Zeth Babys agiert in diesem Spannngsfeld kulturellen Wandels, denn er war, neben seinen offiziellen Ämtern, nicht nur der Usif (Fürst) des ehemaligen Kefetoran Noe Muke im südöstlichen Landkreis Südamanuban. Oder anders: der indigenen Domäne Kuan Fatu, seinem politischen Zentrum mit den modernen Dörfern (desa) Kuan Fatu, Kele, Noe Muke und Oebelo. Neben dieser Funktion ist er auch, in genealogischer Linie der Meo Nae Banam, der Älteste (nae) von vier emeritierten Krieger-Kopfjägern, die in westlich militärischer Nomenklatur General genannt werden können.
In Amanuban, wahrscheinlich aber überall in der Republik Indonesien, einem Insel- und Vielvölkerstaat mit über dreihundert Sprachen, leben große Bevölkerungsteile mit einer doppelten Identität: situativ orientieren sie sich an dem Normen- und Wertesystem ihrer indigenen Kultur oder den Erfordernissen einer westindonesisch geprägten Lebenswelt im öffentlichen Alltag.

Johan Christian Sapay

J.Ch. Sapay, wie ihn alle nannten, wohnte seit fast dreißig Jahren am Rand des Marktes von Nakmofa, einem Weiler im Dorf Kiufatu im Landkreis Südamanuban. Bis er mit fünfundfünfzig Jahren pensioniert wurde, war er als Lehrer in verschiedenen Schulen in Westtimor beschäftigt, später Mitglied im Volksvertretungsrat (Anggota DPR, Dewan Perwakilan Rakyat), in einer der beiden gewählten nationalen gesetzgebenden Versammlungen im Parlament des Kabupaten TTS. In den 1990er Jahren des vorigen Jahrhunderts war er einer von sechzehn traditionellen Führern (Tokoh Adat) im Regierungsbezirk TTS.
Nach seiner Auffassung bilden die Pemangku Adat, die Interessenvertreter der indigenen Adat (lais meto) der Atoin Meto in den Dörfern, die Basis der politischen Hierarchie von Timor Tengah Selatan. Aus dem Kreis der Pemangku Adat werden für jeden Landkreis zwei Tokoh Adat berufen. Die Funktion dieser beiden politischen Funktionsträger oder Mediatoren, die auf der Schwelle von zwei verschiedenen Weltanschauungen operieren, besteht darin, die Atoin Meto-Adat zu bewahren, sie an die indonesische Administration zu vermittelen und sie vor Übergriffen der Zentralregierung in Soë zu schützen. Aus dieser Funktion leitet sich die Beraterfunktion der Tokoh Adat ab, die eng mit der Kabupatenverwaltung in Soë zusammenarbeiten. Die sechzehn Tokoh Adat Amanubans bilden einen speziellen, ehrenamtlichen Beraterstab für die Volksversammlung, die die Abgeordneten in der Durchführung ihrer sozial-politischen Aufgaben unterstützen. Dazu gehören insbesondere Fragen (und Streitigkeiten) von Land- und Gewohnheitsrecht, Konflikte, die nicht nur in der Vergangenheit zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen den Namensgruppenallianzen führten. J.Ch. Sapay ist für diese Aufgabe als Kenner der formelhaften, mündlichen Dichtung und der regionalen Geschichte besonders qualifiziert. In vor Gericht verhandelten Fragen des Landrechts und Landbesitzes, deren Besitzverhältnisse in den Tonis-Dichtungen tradiert werden, tritt er als Experte (Zeuge) und Bewahrer historischer, regionaler Erinnerungen auf, da er die entsprechenden Grenzen und Landmarken legitimieren kann, die die Migrationen der Atoin Meto-Namengruppen und ursprünglichen Landnahmen überliefern, die in den mündlichen Dichtungen bewahrt werden.

Die indigene Beziehung zwischen Babis und Sapai

Gemeinsam mit Ch.Z. Babys ist J.Ch. Sapay eins der inoffiziellen politischen Oberhäupter der Domäne Kuan Fatu sowie der Namengruppenallianz Ton und Finit, Babis und Sapai.

Die unterschiedliche Schreibung der Eigennamen Babys (Babis) und Sapay (Sapai), so wurde mir erklärt, ist eine Referenz an die indonesische Moderne und Merkmal einer neuen kulturellen Orientierung. Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass in Amanuban viele Atoin Meto mit einer doppelten Identität leben: indigen (meto, einheimisch) und indonesisch (kase, fremd).

Die beiden Namengruppen (kanaf) Babis und Sapai sind von alters her durch einen Eidpakt (fanu) miteinander verbunden, dessen Gültigkeit und Legitimität in den mündlichen Dichtungen der rituellen Rede (tonis) mit der metaphorisch parallelen Formel konif in balan / maf in balan überliefert wird, wie beispielsweise in einer mündlichen Dichtung der Kuan Fatu-Chronik, die von vier verbündeteten Namengruppen Sole Le`us erzählt:

Ni Sole Le`u anbi ni` in nanam anbi baki [ in nanan ]
Ni Sole Le`u am inneren Pfosten und am Zaun [ im Inneren ]
Pap mese in balnem pap mese [ in balen ]
Am gleichen Platz und am identischen [ Ort ]
Bi konif in balnem anbi maf in balen ]
An des Eckzahns Ort sowie an der Zunge [ Platz ]

Dieser Vertrag betrifft das gegenseitige Versprechen, eine dauerhafte Heiratsverbindung einzugehen, die eine gegenseitige Kontinutität der Eheschließungen garantiert, und sich in allen wirtschaftlichen, sozialen und rituellen Aktivitäten gegenseitig zu unterstützen und zu kooperieren. Dieses Versprechen verbindet die beiden sozialen Gruppen als Heiratspartner in einer feto-mone-Beziehung, entsprechend der indigenen Adat (lais meto) auf ewige Zeit.
Diese bevorzugte Heirat soll wenigstens das älteste Kind eingehen, eine symmetrische Präskription. Die wesentlichsten Kriterien dieser Heiratsregel sind die dominierende Rolle des Mutterbruders (des atoin monef, der vatergleiche Mann) in den Lebenszyklusritualen seiner Schwesterkinder sowie die sogennnte cross-cousin-Heirat. Die Atoin Meto bevorzugen zwar die Heirat mit der Tochter des Mutterbruders, doch die Heirat mit der Tochter der Schwester des Vaters besitz ebenfalls hohes Prestige. Der Grund für diese Heiratsregel besteht in dem Wunsch, die mit der ausheiratenden Frau den Haushalt verlassenden Güter (ike ma suti, Geräte um Baumwolle zu spinnen) zurückzuerhalten: Textilien, Vieh, Getreide, Fruchtbäume, Landbesitz, inuh-Schmuck sowie Haushaltsgeräte. Diese Güter können nur in ihren Ursprungshaushalt zurückkehren, wenn die Enkel der einen Gütertransfer auslösenden Brautgeber die Heiratsrichtung ihrer Eltern wiederholen. Beispielsweise:

  • Eltern:Vater Babis / Mutter Sapai (1. Generation)
  • Kinder: Sohn-Babis heiratet Tochter-Sapai ( 2. Generation)
  • Enkel: Tochter-Babis heiratet Sohn-Sapai ( 3. Generation)

Metaphorisch umschrieben wird diese Heirat als

  • Natipu nafanu in uik ana ma uik tefu ana
    die Rückkehr der jungen Banane und des jungen Zuckerrohrs
  • Naliab nafani in ut in liot
    die Rückkehr des Maismehls und des fein gestossenen Mais

Diese Heirat, die gegebene Güter in ihren Urspungshaushalt zurückbringt, findet in der Generation der Enkel statt, die die von ihren Eltern geschlossene Heirat umkehren. Ohne Rücksicht auf die jeweilige Generation wird diese Heirat auch fe lanan / meon lanan (Weg der Frau / Weg des Mannes) genannt.
Die in den Tonis-Dichtungen feot le`u / moen le`u genannte Heiratsallianz zwischen Babis und Sapai entspricht der Idealvorstellung, nach der immer die ältesten Kinder heiraten. Es ist diese Beziehung, die in den Dichtungen mit der Formel konif / maf umschrieben wird. Hinsichtlich der politischen Allianz im vorindonesischen Kuan Fatu bedeutet dieses Generationen umfassende Heiratsversprechen, dass die erste Frau des Meo Nae, des ältesten Sohnes des Usif Babis, immer eine Frau aus der Namengruppe Sapai heiraten muss. Die in diesem Kontext feot le`u / moen le`u genannte Heirat reflektiert die politische Allianz Sapai-Sole als feto-mone unter der Vorausssetzung, dass feto (weiblich) die inferiore Kategorie ist, während mone superior ist und das höhere Sozailprestige genießt (Sole ist der Ehrenname - akun - der ältesten Lineage der Namengruppe Babis). Sapai ist Sole gegenüber für alle Angelegenheiten der Landwirtschaft und Nahrungsversorgung verpflichtet, Sole, als Meo Nae, fallen die exekutiven politischen Aufgaben der Domäne Kuan Fatu zu. Le`u, die Kontrolle einer numinosen magischen Energie, besitzen sie beide. Sole (Babis) und Sapai sind für alle Zeit als Brautgeber und Brautnehmer miteinander verbunden.
Diese Allianz bezeichnet nicht nur eine soziale, die einer affinen Verwandtschaft, sondern ebenfalls eine politische Kooperation. In diesem Kontext ist Sole der Meo Nae, ein Amt, in das diese Namengruppe durch Tubani Nope im Anschluss des Abi Loemnanu-Kriegs berufen wurde, als Sole die Seiten wechselte. Sapai übernimmt im Rahmen dieser Beziehung das Amt eines Meo Feto.
Diese Beziehung, die durch die Dichtungen der rituellen Rede überliefert und bestätigt wird, ist Ausdruck einer kulturspezifischen Asymmetrie, die auch in Zeiten der indonesischen Administration nicht außer Kraft gesetzt ist, und in einem kulturellen Untergrund weiter besteht. Die jüngeren Kinder dieser beiden Namengruppen unterliegen nicht dieser verpflichtenden Vereinbarung, können jedoch ihre älteren Geschwister vertreten. In der heutigen Praxis der Heiratsbeziehungen wird dieses Ideal nicht mehr grundsätzlich eingehalten, auch deshalb nicht, weil die entsprechenden, priorisierten Heiratspartner nicht mehr immer vorhanden sind.

Musa Leni Seo

Musa Leni Seo ist der amtierende Mund der Babis-Namengruppe, sein Sprachrohr in rituellen und politischen Angelegenheiten. Er ist der mafefa, der einen Mund besitzt (fefan, Mund; ma-, beisitzanzeigender Präfix). Seo vertritt Ch.Z. Babis in allen inoffiziellen politischen Situationen der alliierten Namengruppen Kuan Fatus, in denen ein autorisierter Sprecher erforderlich ist.
Die besondere Fähigkeit, die Musa Seo dazu qualifiziert, seine patrilinear erworbene Funktion auszufüllen, liegt in seinen historischen Kenntnissen und seiner Kompetenz, diese in ritueller Rede (tonis) zu erzählen. Seine Kenntnisse erhielt er von seinem Vater, seinem Vorgänger in diesem Amt, der ebenfalls Mafefa für die Namengruppe Babis war. Derjenige, der es versteht, rituell zu reden (natoni), der in sozialen, politischen oder rituellen Situationen zu glänzen versteht, der allen Argumenten seines Kontrahenten mit einer entsprechenden Formel begegnen kann, ist ein geschätzter Spezialist, der Ruhm auf sein Haupt und das seines Auftraggebers häuft. Die Namengruppe, der ein Mafefa verpflichtet ist, oder ein Klanmitglied, das ihn beauftragt, gewinnt persönliche Vorteile aus der Redegewandtheit und den historischen Kenntnissen seines Mafefa, besonders wenn es sich um die Regulierung von Gebietsgrenzen, um Landstreitigkeiten oder um die Festlegung des zu leistenden Brautpreises (belis) handelt. Nur ein Mafefa, dessen Argumentation sich auf überlieferte Informationen und Sachverhalte stützt, ist in der Lage, glaubwürdige Beweise für die Legitimität einer Behauptung, einer Beziehung, eines Besitzstands oder einer Rechtssache vorzulegen, da diese in den Tonis-Dichtungen kodiert sind. Die rituelle Rede der Atoin Meto besitzt die Autorität der Worte der Ahnen. Tonis steht in dem Ruf eines Gültigkeitsbeweises und setzt absolute Wahrheit und Glaubwürdigkeit voraus. Derjenige, der es wagt, rituell falsch zu reden, zu lügen und die historische Überlieferung, die durch das formelhafte Tonis-Register gesichert ist, zu verfälschen, riskiert den Zorn der Ahnen, die diese Adat-Verletzung mit Stummheit, einem schiefen Mund oder dem schlimmen, unreifen Tod (maet mone`) durch einen plötzlichen Unfall ahnden.

Das Problem der Nachfolge

Musa Leni Seo (70+) sowie J.Ch. Sapay (60+) waren in den 1990er Jahren des vorigen Jahrhunderts bereits in fortgeschrittenem Alter. Wie beide bedauernd feststellten, hatten sie bislang keinen Nachfolger gefunden, da die Jugend in Amanuban, wie sie es erlebten, sich zunehmend westindonesisch orientierte und an ihrer eigenen kulturellen Überlieferung nur wenig interessiert hatten. Potentielle Nachfolger, etwa in genealogischer Folge, wie es in der Vergangenheit selbstverständlich war, fallen durch die schulische Bildung und die Fixierung auf Schrift statt auf Gedächtnis aus. Kaum ein junger Mann zieht heute noch mit einem Mafefa übers Land, von einer rituellen Situation zur nächsten, sitzt nicht mehr mit dabei, lauscht auf dessen Reden und profitiert von dessen Kenntnissen. Niemand nimmt sich mehr die Zeit, das vom alltäglichen Sprachgebrauch abweichende, modellbildende Kommunikationssystem Tonis mit den zahlreichen, komplexen Formeln eines rituellen Registers zu erlernen, und zusätzlich die historischen Sachverhalte und Ereignisse einzustudieren, um sie anschließend in formelhafte Verse zu kleiden. Eine systematische Ausbildung in diesen Fertigkeiten gab es in der Vergangenheit nicht, sodass nun ein entsprechendes Curriculum fehlt, um Tonis beispielsweise in der Oberstufe der schulischen Ausbildung (SMA) zu unterrichten, woran die indonesische Verwaltung auch nicht interessiert ist, denn eine Tonis-Rede legitimiert nicht nur den Landbesitz von Namengruppen, sondern auch die indigenen Machtverhältnisse in Amanuban. Eine einseitige Ausrichtung des Geschichtsunterrichts auf hindu-javanische Kolonial- und nationalstaatliche indonesische Geschichte in den Schulen verhindert eine positive Sicht auf die eigene Geschichte, die viel zu oft verschämt als heidnisch und damit minderwertig betrachtet wird. In dieser Perspektive waren sie einst zu kolonisierende Hinterwäldler, deren Siedlungsraum der jeweiligen kolonisierenden und missionierenden Hochkultur begehrte Ressourcen (Sandelholz) lieferte.
In diesem Kontext erschien den Initiatoren der Kuan Fatu-Chronik die schriftliche Dokumentation und Bearbeitung ihrer historischen Überlieferung, sollte sie nicht dem Vergessen anheimfallen, mittlerweile unverzichtbar. Ch.Z. Babys und J.Ch. Sapay waren sich einig darin, dass das Auslöschung der kulturellen Eigenständigkeit der Atoin Meto aufgehalten werden muss.


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