Dienstag, 10. März 2020

Der Abi Loemnanu-Krieg - Eine Analyse


Mündliche Dichtung und regionale Geschichte in Westtimor [1]


Vorbemerkung

Die mündliche Dichtung über den Abi Loemnanu-Krieg (Makenat Abi Loemnanu) wurde am 9. Februar 1992 von J.Ch. Sapay in Nai Lete, Kuan Fatu, in Südamanuban vorgetragen. Die Tonis-Dichtung über diese militärische Auseinandersetzung, die vor nunmehr fünfzehn Generationen stattfand, irgendwann im späten 17. Jahrhundert, präsentiere ich an dieser Stelle nur kursorisch. Ausführlich bearbeitet und dokumentiert findet sie der interessierte Leser in meiner Dissertation von 1999: Die Kuan Fatu-Chronik. Form und Kontext der mündlichen Dichtung der Atoin Meto (Amanunban, Westtimor). Meine Online-Publikation weiterer mündlicher Dichtungen aus Kuan Fatu folgt der Argumentation der grundlegenden Untersuchung dieses ostindonesischen, literarischen Genres. Nur gelegentlich komme ich in der Fortsetzung der Kuan Fatu-Chronik, allerdings nicht umfänglich, auf dort vertretene Thesen, auf Erläuterungen zu den Übersetzungen der Verse, die ich aus Verständnisgründen gelegentlich sehr frei ins Deutsche übersetzen musste, sowie auf die kulturellen Hintergründe zurück.

Die Atoin Meto Amanubans verwenden in ihren Ritualen eine literarische Form der Rede, die für andere Kulturen Ostindonesiens ungenau als ritual language beschrieben wurde. [3] Für weitere Untersuchungen, die diesem Gegenstand gewidmet werden, schlage ich deshalb vor, den Terminus Dichtung zu verwenden. Thematisch beziehen sich die tonis genannten Dichtungen der Atoin Meto auf historische Überlieferungen einzelner Namen-Gruppen (kanaf), [4] durch welche diese ihre gemeinsame Identität begründen, stabilisieren und bewahren. Die mit Abstand wichtigsten Themen erläutern die Herkunft von Namen-Gruppen sowie deren gegenseitige Beziehungen, den Ursprung und die Berechtigung der bestehenden sozialen und politischen Ordnung sowie die Beziehungen dieser Gruppen zu ihrem Siedlungsraum. Wichtig ist in diesem
Zusammenhang ebenfalls der Hinweis, daß diese historischen Überlieferungen ausschließlich auf Angelegenheiten und Probleme einzelner Allianzen von Namen-Gruppen Bezug nehmen. Sie legen deshalb kein Zeugnis der generellen historischen Prozesse Westtimors ab, sondern interpolieren untergeordnete historische Ereignisse als Geschichte schlechthin. Thema und Gegenstand der Dichtungen der Atoin Meto ist nicht deren Geschichte als Ethnie. Die Dichter-Sprecher (atonis) [5] rezitieren Versionen gemeinsam erlebter und erfahrener, historischer Ereignisse aus der Sicht einzelner innerethnischer Gruppierungen. In seiner Opera Batak spricht Rainer Carle in diesem Zusammenhang von Clan-Orientierung, und meint damit eine Version der Genealogie-Geschichte mit weitgehender allgemeiner Verbindlichkeit bei phratriespezifischer Variation. [6]

Zur genaueren Kennzeichnung der Themen der Tonis-Dichtungen der Atoin Meto verwende ich deshalb den Terminus regionale Geschichte. Regional ist diese Geschichte deshalb, weil ihre Versionen unlösbar mit den vielen kleinen, politisch semi-autonomen Territorien Westtimors sowie der diese Gebiete besiedelnden Namen-Gruppen verbunden ist. Die einzelnen Versionen historischer Ereignisse sind auch nur innerhalb dieser regionalen Zusammenhänge verständlich und interpretierbar. Der Begriff regionale Geschichte beabsichtigt keineswegs den Atoin Meto einen westlichen Geschichtsbegriff, der faktische, kritische sowie quellenorientierte Geschichtsschreibung impliziert, zu unterstellen, ist doch schon allein der Begriff Geschichts-Schreibung hinsichtlich mündlich tradierter Überlieferungen unmöglich. Für die Atoin Meto bedeutet Geschichte und historische Überlieferung die dichterische Darstellung gesellschaftlichen Handelns, im Idealfall ein adat-gemäßes Handeln, welches seine Legitimation, seine Norm- und Wertorientierung sowie sein Ethos aus den Ereignissen der Vergangenheit bezieht. [7]

Das ausgewählte Textsegment aus der Dichtung über den Abi Loemnanu-Krieg (Makenat Abi Loemnanu), das im folgenden erörtert wird, entstand im Februar 1992 im Zusammenhang mit aus dem Stegreif gedichteten Teilen der regionalen Geschichte der vier Namen-Gruppen Ton, Finit, Babis und Sapai in der Siedlung Nai Lete. [8] Diese vier Namen bezeichnen eine Allianz politischer Gruppen, die sich selbst als die vier Stiere, die vier Männer des vorindonesischen politischen Systems von Kuan Fatu bezeichnen. [9] Der hier zitierte Text ist ein Segment, das aus einer Dichtung von 262 Versen ausgewählt wurde. Der vollständige Text berichtet von einem der Expansionskriege, die sehr wahrscheinlich im 16.Jahrhundert zur absolut grundherrlichen Machtentfaltung der Nope-Dynastie und zur territorialen und politischen Gestalt des Usiftum Banam, des heutigen Kecamatan Amanuban, in Südzentraltimor geführt haben. [10] Dieser zweite Expansionskrieg der Nope-Dynastie verfolgte das Ziel, den legendären Regenten Abi Loemnanu zu entmachten und aus Amanuban zu vertreiben. [11] Aufgrund der unterschiedlichen Beteiligung der Namengruppen Ton, Finit, Babis und Sapai an diesem erfolgreichen Feldzug, setzte Nope sie, nach der Vertreibung Abi Loemnanus in das Territorium des heutigen Kupang, als Vasallen in ein Gebiet ein, das traditionell als Lamu bezeichnet wird, und heute die südöstlichen Teile der beiden Kecamatan Süd- und Zentralamanuban bildet. Gedichtet und gesprochen wurde das hier zitierte Textsegment von J.Ch. Sapai; er berichtet in seinem Text von der Schlacht am Bia Moko [12] und von der Eroberung der Festung der Abi-Dynastie auf der Spitze dieses Hügels durch den Nope-Verbündeten Sanak, dem apical ancestor der heutigen Namengruppe Sapai.

Ein exemplarisches Textsegment: Die Entscheidungsschlacht auf dem Bia Moko [13]

Das aus dem Gesamtzusammenhang der Dichtung isolierte Textsegment 6 faßt die Verse 83 bis 105 zusammen, und ist im folgenden Text aus Gründen einer besseren Übersichlichtkeit in drei Unterabschnitte eingeteilt:

Vers 83 bis 89: Der Aufbruch des uis Banam und der Krieger-Kopfjäger des Waldes und der Savanne zum Bia Moko sowie die Prüfung von Nope Sanak am See Salae.
Vers 90 bis 100: Das Heerlager des uis Banam am östlichen Ufer des Noel Mina und die Belagerung des Bia Moko auf der anderen Seite des Flusses.
Vers 101 bis 105: Die Eroberung des Bia Moko durch das vereinte Heer der Krieger-Kopfjäger des Waldes und der Savanne unter Ni Nope Sanak und der endgültige Sieg über Abi Loemnanu.


Die Dichtung

83 Natoka Netu ma Popfam on matua in kitim mauis in kitim maen in kitim [ maam in kit ]
Sie machten sich auf den Weg und (über) Hügel und (durch) Täler, so wie unser Herr und unser Herrscher, und unsere Mutter und [ unser Vater ][14]
84 Neu nifu Salae Tate`boka nbinam Tatu`Boka [ nbin ]
Zum See Salae, wir rasteten dort und wir verweilten [ dort ]
85 Na` anlaik Nale`um anean [ nale`u ]
Sie prüften (ihn) ernsthaft und sie erprobten (ihn) [ ernsthaft ]
86 Kaul in fen nbinam paus aul mese [ nbin ]
Wenn er (ihn) dort hat, (seinen) Gurt mit der einen Tasche [ dort ][15]
87 Neon apinat neon [ aklahat ]
Himmel, du Strahlender, Sonne, du [ Versengende ][16]
88 Na` ok atutnaim taskau hit tuak hit usik hit enkam [ hit amak ]
Dann - alle trugen wir (ihn) auf (unserem) Rücken und hoben (ihn) auf (unsere) Schulter, unseren Herrn, unseren Herrscher, unsere Mutter und [ unseren Vater ][17]
89 Neu Noe Sahnam Kobe Bi Ukit tatu`boka nbinam tate`boka [ nbin ]
Zum Fluß Sahan und (nach) Kobe Bi Uki, und auch dort rasteten wir und wir verweilten [ dort ]
90 Tanebtokam tasauntokam Faut Kelo Batnunut on tatu`boka binam tate`boka [ nbin ]
Wir kamen hinunter und wir stiegen hinab, (nach) Fatu Kelo, Batnunu, und auch dort rasteten wir und wir verweilten [ dort ]
91 Hen tahan hit luikenu li` ma ne`u - neon apinat neon [ aklahat ]
Wollten (dort) die Ohren spitzen, (nach) links und (nach) rechts - Himmel, du Strahlender, Sonne, du [ Versengende ]
92 Bi kot Bia Mokom baki [ Bia Moko ]
In (der) Festung Bia Moko und (am) Steinwall [ Bia Moko ]
93 Ai` kot Bia Mokom fatu [ Bia Moko ]
Oder (die) Festung Bia Moko und (der) Stein [ Bia Moko ]
94 Ni Aib Loemnanu in fatu in kot - es ineon apinat neon [ aklahat ]
Ni Abi Loemnanus Stein und Festung - (nämlich) jene hier, Himmel, du Strahlender, Sonne, du [ Versengende ]
95 Au tninat sene monom ka nauab nahinem ka nasine nahinet tan kete monom ka nauab nahinem ka nasine ne [ nahin ]
Ich glaube, [der] Gong [war] dumm, und er verstand nicht zu sprechen und er verstand nicht zu warnen und auch [die] Trommel [war] dumm, und sie verstand nicht zu sprechen und zu warnen [ verstand sie nicht ]
96 Neon apinat neon [ aklahat ]
Himmel, du Strahlender, Sonne, du [ Versengende ]
97 Len-lenam man maun es it anfun-funam anon-nono kot Bia Moko eno fanum toi [ faun ]
Er war) es überdrüssig: (Nämlich) dieser hier, (und) er umzingelte völlig und er umkreiste vollkommen (die) Festung Bia Moko, (die) acht Tore und (die) Pforten [ (die) acht ]
98 Natnanokam [ nakesi ]
Er begleitete (uns) und [ er kam näher heran ]
99 Es Ni Sanakat on natnanam [ nakesi ]
Nämlich Ni Sanak - und er begleitete (uns) und [ er kam näher ]
100 Fanu Sanakat on tatnanatanam tekesi [ tani ]
Ni Sanaks Schwur, und so begleitete (er) uns und wir kamen näher [ heran ]
101 On beul fuit ansebnem antamnam on kaes kuia tan sebnem [ taman ]
So wie der wilde Freund drängten sie sich hinein und kamen sie herein, so wie der wilde Fremde drängten sie sich hinein und [ traten sie ein ]
102 Anseben nale`um antaman [ nale`u ]
Sie traten ein und rutschten hinein und zerstörten und kamen hinein und [ zerstörten ]
103 On antutnainan mone naem ona usi nae ini` unun ini` nae on antnananam nakesi [ nan ]
So geschah es: Sie trugen (ihn) auf (dem) Rücken, (den) erstgeborenen Mann (und den) erstgeborenen Herrscher, (den) Ältesten und (den) Erstgeborenen, (und) so begleiteten sie (ihn)und brachten (ihn) [ voran ]
104 Neu snae keut kopnam kua lunat [ kopan ]
Zum Strand der Geköpften, (nach) Kupang, zum blutgeschmückten Weiler, [ (nach) Kupang ][18]
105 Neu Ni Ten ma Ni Binome Ni Funan Ni Haumeni Ni Snaen Fini`Fitsa Neopnam Haumeniat Teulanem [Bulaen]
Zu Ni Ten und Ni Binome, Ni Funan, Ni Haumeni, Ni Snaen, Ni Fini`Fitis in Nepon und Haumeni und auch in Teulane und [Bulaen]


Grammatischer Parallelismus als Form mündlicher Dichtung

Die Komposition von Tonis-Dichtungen basiert in Amanuban auf einem durchgehenden grammatischen Parallelismus der Form. Parallelismus meint die Anordnung der syntaktischen und semantischen Elemente eines Verses zu parallelen Lexempaaren sowie einzelner Verse zu parallelen Verspaaren, Wortgruppen, die im oben zitierten Text unterstrichen sind. Um eine Ordnung in die Syntax der zitierten Tonis-Verse zu bringen, ist es erforderlich, die im weiteren verwendeten Arbeitsbegriffe Morphem, Lexem und Lexempaar gegeneinander abzugrenzen. Ein Beispiel:

101 On beul fuit ansebnem antamnam on kaes fuia tan sebnem ne [taman]
So wie der wilde Freund drängten sie sich hinein und kamen sie herein, so wie der wilde Fremde drängten sie sich hinein und [traten sie ein]

Morphem meint in diesem Zusammenhang das Wort als kleinste Einheit der grammatischen Analyse, zum Beispiel belu (Freund) oder kase (Fremder). Im Unterschied dazu ist ein Lexem die kleinste lexikalische Einheit, die bezüglich des Tonis-Vokabulars aus mehreren Morphemen bestehen kann, wie beul fui (der wilde Freund) oder kaes fui (der wilde Fremde). Bei einem Parallelen Lexempaar handelt es sich um die Kombination von zwei Lexemen zu einer sprachlichen Bedeutungseinheit, wie beispielsweise beul fui / kaes fui (der wilde Freund / der wilde Fremde). Tonis-Verse setzen sich aus einem parallelen Lexempaar zusammen, wie in dem Beispiel

92 Bi kot Bia Mokom baki ne [Bia Moko]
In (der) Festung Bia Moko und (am) Steinwall [Bia Moko]
93 (Bia Moko) Ai` kot Bia Mokom fatu ne [Bia Moko]
Oder (die) Festung Bia Moko und (der) Stein [Bia Moko]

Andere Verse wiederum bestehen aus zwei, oder aber aus drei und mehr parallelen Lexempaaren wie in

95 (aklahat) Au tninat sene monom ka nauab nahinem ka nasine nahinet tan kete monom ka nauab nahinem ka nasine ne [nahin]
Ich glaube, [der] Gong [war] dumm, und er verstand nicht zu sprechen und er verstand nicht zu warnen und auch [die] Trommel [war] dumm, und sie verstand nicht zu sprechen und zu warnen [verstand sie nicht]

Grundsätzlich ändert sich die Struktur und Gestaltung der Verse auch bei der Verwendung von mehreren parallelen Lexemgruppen nicht. Als formale Abstraktion arrangieren die Dichter-Sprecher in Amanuban ihre Verse nach einem einheitlichen Muster, das die Verse 92 und 93, mit den parallen Paaren kota // baki beziehungsweise kota // fatu sowie dem gedoppelten Namen der Festung Bia Moko // Bia Moko, exemplarisch darstellen:

Tonis-Verse verwenden entweder einfach-parallele Lexempaare wie vorrücken / herankommen in Vers 98 oder zusammengesetzt-parallele Lexempaare wie in Festung Bia Moko / Stein Bia Moko. Lexempaare können aufeinanderfolgend-parallel sein wie in den Versen 92 und 93, sie können alternierend-parallel angeordnet sein, wie in Vers 95. Vers 92, Vers 89 sowie Vers 95 repräsentieren die beiden hauptsächlich vorkommenden Versarten von tonis-Dichtungen in Amanuban: [19]

VERS 92 A // A´ ein Lexempaar, aufeinander folgend
VERS 93 A // A´ zwei Lexempaare, aufeinander folgend
VERS 94 A / B // A´/ B` zwei Lexempaare, alternierend

Abweichend gestaltete, vollständig nicht-parallele Verse (wie Vers 86) sind äußerst selten und bilden eine auffällige Ausnahme. Die Tonis-Verse der historischen Überlieferungen der Atoin Meto sind in doppelter
Hinsicht parallel:

  • Einerseits treten sie als rein-parallele Verse auf, das sind Verse, in denen alle sprachlichen Elemente in einer syntaktischen und semantischen Relation stehen (identische Umgebung), wie beispielsweise die Verse 92 und 93.
  • Andererseits sind die Verse unvollständig-parallel, da sie außer parallelen Lexempaaren umgangssprachliche Phrasen wie au ninat (ich glaube...) in Vers 95 oder len-lenam man maun es i (er war es überdrüssig...) in Vers 97 enthalten.
  • Darüberhinaus verwenden sie untergeordnete grammatische Elemente wie die Präpositionen neu (in Richtung auf) in Vers 89 oder bi (in) in Vers 95 sowie Konjunktionen wie ai` (oder) in Vers 93 oder ma (und) in Vers 102.

Die Mehrzahl seiner Verse gestaltet der Dichter-Sprecher unvollständig-parallel, das heißt, die syntaktische Umgebung dieser Verse ist nur annähernd identisch. Bei entscheidenden Mitteilungen seiner Dichtung verwendet er Verse, die weder aus parallelen Lexempaaren bestehen, noch Entsprechungen in der Art paralleler Verspaare besitzen. Nichtparallele Verse durchbrechen den durchgehenden grammatischen Parallelismus der Rede mit der Absicht, eine erhöhte Aufmerksamkeit des Zuhörers zu provozieren. Ein anderes rhetorisches Mittel, das der Konzentration der Aufmerksamkeit dient, ist der Wechsel der Personalpronomina, vom epischen er (in) oder Plural-sie (sin) zum inklusiven wir (hit) oder gar zum persönlichen ich (au) wie in Vers 95 (au ninat...) sowie Vers 100 (hit tatnana, hit takesi; Konjugation der Verben 1.Person Plural). Charakteristisch für diese Verse (beispielsweise die Verse 100 bis 102) ist ebenfalls der Zeitsprung, das heißt die Überleitung der narrativen Handlung in die Gegenwart, im Umfeld mehrheitlich in der epischen Vergangenheit ausgedrückter Verse.
Die Verse der Tonis-Dichtungen sind nicht nur syntaktisch-parallel, sie sind es auch in semantischer Hinsicht. Wie gerade gezeigt wurde, gestaltet der Dichter-Sprecher in Amanuban seine Verse durch die Kombination paralleler Lexempaare. Jedes Lexem eines Lexempaares besteht aus einem oder mehreren Morphemen, die fast immer durch Konjunktionen wie ma (und) oder ai` (oder) verbunden sind. Zwei dieser Lexeme werden zu synonymen Paaren, und mehrere dieser Paare zu Versen zusammengefaßt. Ein Lexempaar, gleichgültig aus wievielen Morphemen seine einzelnen Lexeme bestehen, bildet nur eine einzige sprachliche Bedeutungseinheit. Der Einwand, ein Vers wie Festung Bia Moko // Stein Bia Moko enthalte zwei parallele Lexempaare, nämlich Festung // Stein sowie Bia Moko // Bia Moko ist unberechtigt.
Hinsichtlich eines parallelen Lexempaares als auch bezüglich eines Verses besteht die Vereinbarung, daß der erste Teil semantisch als schwach, der zweite Teil als stark aufzufassen ist. Während der schwache Teil eines Parallelismus die gesamte Bedeutung eines Lexempaares oder Verses klar und deutlich äußert, besteht die Funktion des starken Teils darin, diese Bedeutung zu intensivieren, indem sie semantisch graduell erweitert wird. Der starke Teil übernimmt außerdem die Funktion, die Bedeutung eines Lexempaares, eines Verses, eigentlich der gesamten Rede, so zu kodieren, daß Tonis-Dichtungen nur für Eingeweihte vollständig verständlich sind. In Vers 93 trägt der zweite, starke Teil dieses Verses nur unwesentlich zum Verständnis des Bezeichneten bei, sondern das Morphem fatu (Stein) verdeckt eher die wahre Bedeutung des Lexems fatu Bia Moko (Stein Bia Moko; in der Bedeutung Festung) und verunsichert so den Zuhörer in seiner Rezeption der Mitteilung.
Die Beziehung der Lexeme der parallelen Lexempaare ist, von wenigen Ausnahmen abgesehen, synonym-parallel, das heißt, die beiden Lexeme eines Paars stehen in einem Verhältnis zueinander, welches als bedeutungsgleich oder bedeutungsähnlich, das heißt als sinnverwandt, bezeichnet werden muß. In dem oben schon verwendeten Beispiel meint das parallele Lexempaar Festung Bia Moko // Stein Bia Moko, den von einer Mauer aus groben Steinblöcken geschützten Palast von Abi Loemnanu auf dem Bia Moko. Die metaphorische Bedeutung der beiden Lexeme dieses Verses (V 93) meint ein und dasselbe, nämlich den Palast Abis auf dem Bia Moko als letzte Zuflucht eines vertriebenen Herrschers. Nicht die einzelnen Morpheme eines Lexems oder die einzelnen Lexeme eines parallelen Lexempaares gewinnen so Bedeutung im Kontext der Rede, sondern Bedeutungsträger ist allein die Kombination der schwachen und starken Lexeme eines Lexempaares.

Die parallele Anordnung und Beziehung einzelner Verse einer Tonis-Dichtung zueinander kann sowohl aufeinanderfolgend-parallel, wie die Verse 92 und 93, sie kann, in sehr seltenen Fällen, auch alternierend-parallel sein. Verspaare bleiben in den Dichtungen der Atoin Meto allerdings die Ausnahme. Die Mehrzahl der Verse bilden in sich geschlossene, syntaktische und semantische Einheiten, die durch eine schonende Explikation von Sachverhalten eine historische Situation so hervorheben, daß sie jeder Zuhörer qua Vorverständnis und Assoziation verstehen, und darüber hinaus individuell unterschiedlich interpretieren kann. In seiner Dichtungstheorie merkt Hermann Schmitz an: Die poetische oder dichterische Explikation schont dagegen in geschickter Sparsamkeit der Rede die zu explizierende Situation und läßt diese in unverwechselbarer Ganzheit durch das Netz der vorsichtig herausgehobenen Sachverhalte, Programme und Probleme durchscheinen, so daß der Dichter die paradox scheinende Leistung vollbringt, das Unsagbare zu sagen ( ... ). [20]

Es ist die besondere Form der Tonis-Rede, die mit Hilfe des ihr eigenen Sprachgebrauchs dagegen antritt, daß die überlieferte historische Situation in reduktionistischer Weise in einzelne Sachverhalte zerlegt wird. In ihrer Darstellung historischer Sachverhalte schont diese Rede die jeweilige Situation, das heißt, sie expliziert einen Sachverhalt auf eine Weise, die nicht nur den einzelnen Sachverhalt, sondern ebenfalls Kontext und Hintergrund dieses Sachverhalts, eben die ganze Situation, mitberücksichtigt.
Der Parallelismus der Form in den Dichtungen der Atoin Meto ist nicht nur grammatisch, er ist ebenfalls kanonisch, das heißt, die dichterische Formgebung unterliegt der Verbindlichkeit eines Kanons, der nicht nur feststellt, was ist, sondern vorschreibt, was sein soll. Dieser Kanon ist einerseits Inbegriff einer als vorbildlich und maßgebend vorgestellten Tradition, andererseits Inbegriff von Authentizität und Verbindlichkeit der in dieser Form kommunizierten Inhalte. Durch Invarianz der dichterischen Form verbürgt dieser Kanon eine sichere Orientierung und verhilft zu normgerechter Komposition, indem er Genauigkeit und Entsprechung stiftet, Zufall und Willkür ausschließt.


Ergänzende Thesen für die Analyse mündlicher Dichtungen

Vier weitere Thesen, die hier jedoch nur kurz gestreift werden können, sind für Verständnis und die Analyse mündlicher Dichtungen in Westtimor, und darüber hinaus wahrscheinlich in ganz Ostindonesien, wesentlich: [21]

These 1: Literatur, und darüber hinaus Dichtung, lassen sich durch zwei Kriterien bestimmen: einerseits, so definiert Hermann Schmitz, sind Dichtungen formal anspruchsvolle Texte, andererseits sind sie empfindlich gegenüber Übersetzungen.
Diese beiden Kriterien räumen der Form eines literarischen Textes gegenüber dem Inhalt einen gewissen Vorzug ein. Sie setzen sich dafür ein, daß nicht ausschließlich der Inhalt Dichtung als Dichtung auszeichnet, sondern betonen die Notwendigkeit einer besonderen, nicht-alltäglichen Form. Da eine spezielle Formgebung allein nicht ausreicht, anzugeben, was Dichtung ist und was Dichtung von anderen literarischen Texten unterscheidet, erweiterte Hermann Schmitz seine Definition durch das Kriterium der Empfindlichkeit gegenüber Übersetzungen. [22] Lassen sich wissenschaftliche Texte, wie dieser Vortrag zum Beispiel, relativ problemlos in andere Sprachen übersetzen, so behindert die charakteristische Form poetischer Verse, wie diejenige der tonis-Dichtungen, eine angemessene Übersetzung erheblich. Ist der Inhalt der oben zitierten tonis-Dichtung von meiner Übersetzung kaum betroffen, so ist es äußerst schwierig, die Form dieser Verse in die deutsche Übersetzung zu retten.

These 2: Die mündlichen Dichtungen der Atoin Meto repräsentieren keine, von der natürlichen Sprache unabhängige, eigene Sprache, wie es der Terminus ritual language suggeriert. Es handelt sich hier vielmehr um ein sekundäres modellbildendes System im Sinne von Jurij Lotman. [23] Sekundär ist dieser Sprachgebrauch, da er auf und über der natürlichen Sprache errichtet, und modellbildend, weil er der Struktur der natürlichen Sprache nachgebildet ist. Dennoch verfügen Tonis-Dichtungen als sekundäre modellbildende Systeme über eine eigene Struktur zur Übermittlung von Inhalten, die mit der elementaren sprachlichen Struktur der Regionalsprache (Uab Meto) so nicht übermittelt werden können. Ritueller Sprachgebrauch in Amanuban unterscheidet sich vom jeweiligen Dialekt der Regionalsprache lediglich durch ein reserviertes Lexikon sowie die besondere Formgebung der Rede, den grammatischkanonischen Parallelismus. Es ist auch nicht so, daß das Lexikon der rituellen Rede grundsätzlich aus archaischen, nur Spezialisten verständlichen, Morphemen oder Lexemen besteht. Vielmehr handelt es sich bei den Ausdrucksweisen, die nicht zur Regionalsprache gehören um entlehnte, klanglich veränderte oder auch archaische Worte.

These 3: Traditionelle Dichtungen in Amanuban entstehen nicht im Milieu schriftlicher
Produktion, das heißt, die Atoin Meto verwenden kein Schriftsystem für Überlieferung.
Ganz im Gegenteil: Für die Komposition und Überlieferung ihrer Dichtungen bedienen sich die Dichter-Sprecher allein mündlicher Techniken. Mündlichkeit bedeutet in diesem Zusammenhang nicht allein die mündliche Überlieferung beispielsweise auswendig gelernter und dann reproduzierter Texte, Mündlichkeit bedeutet vor allem die spontane und mündliche Entstehung von Dichtung während der Lebenszyklusrituale. Mündlichkeit in diesem Sinne impliziert dann ebenfalls Originalität, das heißt Unwiederholbarkeit. In spontaner Improvisation komponierte mündliche Dichtung wird von Dichter-Sprechern in der kanonisch verbindlichen Form ritueller Rede vorgetragen. Im Rahmen der Lebenszyklusrituale kommt diesen Dichtungen eine doppelte Funktion zu:

  • sie dienen der Bewahrung und Überlieferung kulturell relevanten Wissens und
  • sie stiften und stabilisieren kulturelle und ethnische Identität.

Ihre historischen Themen erklären und repräsentieren die ganze Gemeinschaft, indem sie die Grenze zwischen Wir und Ihr reflektieren und legitimieren. Sie bieten dem zuhörenden Ritualteilnehmer ein Deutungs- und Wertsystem an, das Handlungsorientierungen enthält, die ihn dabei unterstützen, seine Zugehörigkeit zu definieren.

These 4: Die Botschaften der Tonis-Dichtungen stehen in dem Ruf absoluter Wahrheit, vollständiger Gewißheit und Verläßlichkeit. Die wissenschaftliche Analyse dieser mündlichen Dichtung muß sich deshalb der Frage stellen: Woher beziehen diese Texte ihre Autorität als verbürgte Worte der Ahnen? [24] Warum kann die Form literarischer Texte, deren Überlieferung Konrad Ehrlich als zerdehnte Sprechsituation [25] beschrieben hat, dem Einfluß kulturellen Wandels oder individueller Fähigkeiten, Kenntnisse und Neigungen widerstehen?
Indirekt hat die vorausgegangene Argumentation diese Frage bereits beantwortet: die qua Konvention und Kanon verbürgte Verbindlichkeit der Formgebung der Dichtung der Atoin Meto garantiert diesen ihre Glaubwürdigkeit. Während Formgebung und Themen der historischen Überlieferungen durch den Kanon als normatives Instrument gesichert sind, ist die Kreativität des Dichter-Sprechers darauf begrenzt, Variationen eines Themas zu liefern. Entsprechend des rituellen Anlasses, entsprechend der Bedürfnisse und der sozialen und politischen Beziehungen der Ritualteilnehmer untereinander und entsprechend seiner Fähigkeiten und Kenntnisse produziert der Dichter-Sprecher bei Beachtung der vorgeschriebenen Form und überlieferten Inhalte auf den aktuellen Bedarf eines Rituals zugeschnittene Versionen. Verletzungen des Kanons sind Übertretungen der Adat (Atoin Meto: lais meto) und ziehen Sanktionen der Ahnen, als Unglück, Krankheit oder schlimmen Tod, auf den Dichter-Sprecher.
Aufgrund der Diachronie einer Kommunikationssituation, einer Situation, in der ein ursprünglicher Sprecher (prime speaker) und die späteren Hörer nicht als Zeitgenossen agieren, erscheint eine solchermaßen kodierte Rede dem Zuhörer als anonyme Botschaft aus der Tiefe der Vergangenheit. Da die Rede eines Dichter-Sprechers immer nur Zitate vorausgegangener Reden liefern kann, tritt dieser als Medium, oder wie Konrad Ehrlich es ausgedrückt hat, im Institut des Boten auf. In Lebenszyklusritualen mündlich entstehende Tonis-Dichtungen als spontane Schöpfungen der Dichter-Sprecher, als deren kreative Improvisationen, sind Reflexe historischer Ereignisse. Um authentisch zu sein, müssen Tonis-Rezitationen vor allem einer Anforderung genügen: sie müssen ihrer Form verpflichtet sein. Zur Legitimation und Autorisierung der historischen Themen ihrer mündlichen Dichtungen beschließen die Dichter-Sprecher in Amanuban ihre Reden deshalb oft mit dem Vers:

In ka tonin anle`un in ka a`an ne [anle`un]
Seine Rede (ist) nicht falsch und seine Worte (sind) nicht [schlecht] [26]

So bekennt der Dichter-Sprecher sich mit diesem abschließenden Vers letztlich selbst zu seiner Funktion Medium beziehungsweise proximate speaker zu sein. [27] Er versteht seine gerade vorgetragene Dichtung als Zitat, als die subjektiv gefärbte Wiederholung der Rede seiner Vorgänger, nämlich der aufeinanderfolgenden Generationen der proximate speaker bis hin zum ursprünglichen prime speaker, auf den er mit dem synonym-parallelen Lexempaar in tonin // in a`an (seine Rede // seine Worte) hinweist.


Anmerkungen

[1] Die vorliegende Studie zur mündlichen Dichtung der Atoin Meto wurde erstmals veröffentlicht in: Bormann, A., Graf, A., Meyer, M. und M. Voss, Südostasien und Wir. Grundsatzdiskussion und Fachbeiträge, Tagung des Arbeitskreises Südostasien und Ozeanien, Austronesia, Studien zum austronesischen Südostasien und Ozeanien, Bd.1, Hamburg, 1995:134-149. Ich habe diese Studie in diesem Zusammenhang unverändert und nicht neu bearbeitet übernommen, um einen kurzen Einblick in die erste der neun Dichtungen der Kuan Fatu-Chronik zu geben, und um den ersten Expansionskrieg zur Gründung von Banam im Rahmen der weiteren Dichtungen nicht völlig auszuschließen. Der Abi Loemnanu-Krieg ist Thema meiner grundlegenden Untersuchung dieses ostindonesischen, literarischen Genres in Die Kuan Fatu-Chronik. Form und Kontext der mündlichen Dichtung der Atoin Meto (Amanuban, Westtimor) und muss deshalb nicht, wie die anderen Dichtungen aus Kuan Fatu in zwei Teilen (Dichtung / Prosa) erneut publiziert werden.
Die Daten, auf denen diese Studie beruht, entstanden im Rahmen einer Feldforschung in den Siedlungen (desa) Kuan Fatu, Niki Niki Un, Mauleum und Eno Kiu im Kecamatan Amanuban (Kabupaten Südzentraltimor) in den Monaten August 1991 bis Juni 1992. Für ihre Unterstützung bedanke ich mich besonders bei J.Ch. Sapay, M. Seo und Ch.Z. Babys für die Produktion der historischen Texte der Kuan Fatu-Chronik, bei M. Boimau für die intensive Mitarbeit bei der Transkription dieser Texte sowie bei den Beamten der Kabupaten-Verwaltung in Soë, der Universitas Nusa Cendana in Kupang, bei Lembaga Ilmu Pengetahuan Indonesia in Jakarta und beim Deutschen Akademischen Austauschdienst in Bonn und Jakarta für finanzielle und administrative Hilfen.

[2] Für ihre historischen Überlieferungen verwenden die Atoin Meto in Amanuban den Terminus tonis. Tonis ist die Substantivierung des Verbs natoni in der Bedeutung von zeigen, weisen und zwar ein Zeigen, (Hin)Weisen mit ausgestrecktem Finger auf etwas. Das Verb natonon bezeichnet sich sehen lassen, sich in der Öffentlichkeit zeigen, und zwar immer mit der Absicht, Aufmerksamkeit zu erregen. Das Erzählen von Versionen regionaler Geschichte ist ebenfalls natoni. So verstanden meint das Verb natoni das Darstellen von, das Aufzeigen von beziehungsweise das Hinweisen auf Ereignisse der Vergangenheit, aus denen eine Namen-Gruppe Handlungsorientierung, Identität und Ansehen bezieht. Natoni ist auch ein Zurückweisen auf Ereignisse, die durch Wahl und Kombination von Worten beim Zuhörer intendierte Assoziationen und Vorstellungen erzeugen. Die sprachliche Minimalität der Verse überläßt es dem Kontext und dem Vorverständnis des Zuhörers, welche Assoziationen und welche Vorstellungen entstehen - welches Bild er sich von der Vergangenheit seines Namens macht. Ein weiteres Derivat dieser Wurzel ist naton, das heißt informieren, berichten.

[3] Vgl. beispielsweise James J. Fox, Semantic parallelism in Rotinese ritual language, Bijdragen Taal-, Land- and Volkenkunde 127. 1971:215-255; ders.: To speak in pairs. Essays on the ritual languages of eastern Indonesia, Cambridge University Press, 1988.

[4] Die traditionelle ethnologische Terminologie verwendet für sozial organisierte Gruppen dieser Art die Bezeichnung Clan im Sinne einer korporierten Gruppe, die von außen gesehen wie eine einzige Rechtspersönlichkeit auftritt, im Inneren eine Primärgruppe ist, deren Mitglieder direkt persönlich miteinander agieren. Besonders wichtige Kriterien solcher Gruppen sind ihr dauerhafter Bestand und die gemeinsame
Kontrolle von Ressourcen, sehr oft Landbesitz. Im Zusammenhang mit der indigenen Bezeichnung kanaf, das heißt wie ein Name für korporierte Gruppen der Atoin Meto, bevorzuge ich den Terminus Namen-Gruppe.

[5] Den Begriff Dichter-Sprecher habe ich in der Absicht gebildet, die doppelte Funktion der Spezialisten zum Ausdruck zu bringen, die in Amanuban für die Überlieferung des kulturell relevanten Wissens zuständig sind. Da diese Spezialisten während der Lebenszyklusrituale einerseits ihre Textproduktionen spontan schöpfen (Dichter), sie andererseits aber auch in ritueller Rede vortragen (Sprecher), erscheint mir nur ein zusammengesetzter Terminus sinnvoll.

[6] An einer anderen Stelle erweitert Rainer Carle diese Bemerkung dahingehend, daß es sich bei jedweder Darstellung der Genealogie der Batak, sei es in der Fachliteratur, sei es in dramatisierter Form, um eine nach zumindest partiell subjektiven Kriterien erstellte Version handelt (Opera Batak - Das Wandertheater der Toba-Batak in Nord-Sumatra. Schauspiele zur Wahrung kultureller Identität im nationalen indonesischen Kontext, Bd.1, Berlin, 1990:129-130 und 142).

[7] Die Adat ist die Konzeption einer Ordnung, die Mensch, Gesellschaft, Welt und Moral zu einer Einheit zusammenfaßt, und die in Indonesien im allgemeinen religiös begründet ist. Sie bildet zweifellos das Integral, in dem die Gesamtheit der Norm- und Wertvorstellungen, die gesamten Handlungsanweisungen indonesischer Gesellschaften zu finden sind. Das Spektrum der adat umfaßt somit alle Bereiche indonesischer Kultur.

[8] Siedlung (desa) Kuan Fatu, Verwaltungsbezirk (Kecamatan) Südamanuban, Regierungsbezirk (Kabupaten) Südzentraltimor, Propinsi Nusa Tenggara Timur.

[9] Als keos ha moen ha werden in den historischen Überlieferungen der Atoin Meto diejenigen Namen-Gruppen bezeichnet, die bei der ersten Landnahme eines Territoriums eine entscheidende Rolle gespielt haben. Aus ihrer führenden Rolle bei dieser ersten Inbesitznahme eines Siedlungsgebietes leiten sie für sich ökonomische, soziale, politische und rituelle Privilegien ab. Sie kontrollieren und verteilen die Ressourcen, sie sind die angesehensten Brautgeber und sie übernehmen die rituelle Verantwortlichkeit für die Wohlfahrt der Gemeinschaft sowie für ihren militärischen Schutz. Clarke E. Cunnigham hat diese Gruppierung für Amarasi als kua tuaf (Hamlet Master) beschrieben, bei H.G. Schulte Nordholt finden wir sie unter dem Insana-Terminus amaf naek (große Väter) wieder (C.E. Cunnigham, Categories of descent groups in a Timorese village, Oceania 37, 1966:14); H.G. Schulte Nordholt, The political system of the Atoni of Timor, Verhandelingen Koninklijk Instituut Taal-, Landen Volkenkunde 60, 1971:220-231).

[10] Ein Usiftum ist ein feudaler Staat, der von einem usi, als höchstem politischen Regenten sowie einem, von diesem usi rituell und politisch abhängigen, Vasallen- und Kriegerstand regiert wird. Banam ist der in den Dichtungen der Atoin Meto verwendete Name für Amanuban.

[11] Während Nope und andere aus dem Westen nach Timor gekommene Herrschergestalten Emporkömlinge und Usupatoren sind, scheinen die Namen Abi Loemnanu, ebenfalls wie der Herrscher im Osten, dem der erste Expansionskrieg der Nope-Dynastie galt, Tkesnai, für eine autochthone Bevölkerung zu stehen, die während eines Migrationsprozesses aus dem Westen (malaiische Halbinsel und Westindonesien) unter Druck geraten ist. Ob die Mongoleninvasion unter Kublai Khan Ende des 13.Jahrhunderts (1293 in Java), die größte territoriale Ausdehnung des Thai-Reiches Ayutthaya unter dem ersten König von Siam, Ramadhipati, (um 1350), die Ankunft des Islam (erste Steininschriften von Trenggano 1303 und 1387) oder die der Portugiesen im frühen 16.Jahrhundert (Fall von Malakka 1511) für diese Migration verantwortlich ist, ist meines Wissens noch nicht untersucht worden. Einen deutlichen Beleg für diese These enthält unter anderem die historische Überlieferung der Tetun, die Neuankömmlinge in Zentraltimor sind, und deren ursprüngliche Heimat Sina Muti Malaka heißt: China-Weißes-Malakka.

[12] Desa Oemofo, Kecamatan Fatu Le`u, Kabupaten Kupang, Propinsi Nusa Tenggara Timur.

[13] GROßSCHREIBUNG markiert die parallelen Paare. Die in [eckige Klammern] gestellten Morpheme oder Phrasen werden nicht vom Dichter-Sprecher selbst, sondern von einem Chor gesprochen. Die bedeutungslose Partikel ne im letzten Lexempaar, markiert den Einsatz dieses Chores. Die in runden Klammern stehenden Wörter stellen eine Lesehilfe zur Verfügung, und kommen im Originaltext nicht vor. Der doppelte Schrägstrich - // - trennt die beiden Lexeme eines synonym-parallelen Lexempaares.

[14] Herr und Herrscher // Mutter und Vater bezeichnet metaphorisch die politischen Funktionsträger der Aristokratie der Atoin Meto in ihrer Verantwortlichkeit für den Schutz und die Sicherheit der Bevölkerung, vor allem rituell und militärisch.

[15] Der Krieger-Kopfjäger (meo) Ni Nope Sanak ist der große Held der Schlacht am Bia Moko, da es dessen magische Kraft (le`u) ist, der Abi Loemnanu nicht widerstehen kann (der Gong, die Trommel ist dumm). Die Prüfung, der sich Nope Sanak am See Salae unterziehen muß, dient der Aktivierung und Kraftsteigerung seiner Kriegs-Le`u (le`u musu), dient der letzten Vorbereitung zur Entscheidungsschlacht, die Sanak als Oberbefehlshaber leitet. Auf diesen Sachverhalt verweist, metaphorisch und in aller Kürze, sein Ledergurt. Ein pasu ist ein flächendeckend mit antiken Silbermünzen verzierter Gürtel aus Ziegen- oder Büffelleder, dessen vordere Seite aus drei aufgenähten Taschen (aluk) besteht. Inhalt dieser Taschen waren früher Bleikugeln, Pulver und Zunder für die Vorderlader der Meo sowie deren Kriegs-Le`u. Die Metapher, die den Krieger-Kopfjäger aufgrund seines Ornats umschreibt, verwendet hier lediglich den Gürtel. Sanaks Gürtel besitzt nur eine Tasche (aul mese), ein deutlicher Hinweis auf dessen besonderen Status. Vollständig lautet diese Metapher: pasu aul mese // au molo (das ikatverzierte Hüfttuch) // so` it keol ilaf (der Kamm aus Büffelhorn, der den Haarknoten zusammenhält). Das gelbe Hüfttuch (mau molo) sowie der auf der Stirn (ilaf) getragene Kamm so`it Sanaks sind weitere Merkmale seines außergewöhnlichen Charakters.[16] Die Metapher neon apinat // neon aklahat bezeichnet den obersten politischen Funktionsträger, den Uis Banam, als den Sonnengleichen. Als der Strahlende (apinat) repräsentiert er die Leben erhaltende Kraft der Sonne (neno; in der Umgangssprache manas), als der Versengende (aklahat) ist der Herrscher die Sonne in ihrem todbringenden, Leben vernichtenden Aspekt, einer Sonne, die während Trockenzeit und Dürre, die Erde verbrennt und unfruchtbar macht. Als neno in anan (wörtlich Kind der Sonne; impliziert Gott-Kindschaft) stand dieser Herrscher in direkter Verwandtschaft mit uis neno, dem in Sonne, Tag und Himmel (unterschiedslos als neno bezeichnet) symbolisch verehrten Gott der nicht-christianisierten Atoin Meto, dessen weibliche Entsprechung die Erde als uis pah ist.[17] Die beiden Verben natnai // naskau (auf dem Rücken tragen // auf die Schulter heben) verwenden die Atoin Meto bezüglich der Tragart für ihre Kinder. Hier beziehen sie sich als Metapher auf den Herrscher, den seine Untertanen tragen, das heißt, durch ihre wirtschaftliche Produktion ernähren. In anderer Weise meinen diese beiden Verben aber auch die Unmündigkeit und Hilflosigkeit des so Getragenen, wie zum Beispiel in Vers 103, wo sie auf Abis Niederlage anspielen.

[18] Diese Metapher ist die in den Tonis-Dichtungen übliche Bezeichnung für die Stadt Kupang am westlichen Ende Timors, von wo aus Portugiesen und Niederländer, für eine kurze Zeit auch Engländer, versuchten, Kontrolle über das Hinterland der Insel auszuüben, um die Ressourcen Westtimors auszubeuten. Für die Atoin Meto in Amanuban, und weiter östlich, ist diese Gegend deshalb gleichbedeutend mit dem Teil Timors, wo üblicherweise ihr Feind auftaucht. Dieser Vorstellung entspricht die hier verwendete Metapher.

[19] Die verwendeten Großbuchstaben bezeichnen die Lexeme (A, B etc.) bzw. die Lexempaare (A // A` etc.) eines Verses. Ein Schrägstrich ( - / - ) trennt Lexeme unterschiedlicher Lexempaare.

[20] Situation und Sachverhalt sowie schonende Explikation von Sachverhalten aus Situationen, sind Termini, die ich dem Begriffssystem der Neuen Phänomenologie von Hermann Schmitz entlehnt habe. Für ihre Definition und Begründung siehe Hermann Schmitz, System der Philosophie, 3.Bd. 4.Teil: Das Göttliche und der Raum, Bonn, 1977:369-444; ders.: Neue Phänomenologie, Bonn, 1980:80-101; ders.: Der unerschöpfliche Gegenstand. Grundzüge der Philosophie, Bonn, 1990:54-79.

[21] Die Thesen 1 bis 4 werden ausführlicher in meiner Dissertation diskutiert: Herbert W. Jardner, 1999, Die Kuan Fatu-Chronik. Form und Kontext der mündlichen Dichtung der Atoin Meto (Amanuban, Westtimor), Berlin und Hamburg.

[22] Vgl. Schmitz, Das Göttliche, 527-532.

[23] Jurij Lotman, Die Struktur literarischer Texte, München, 1989:19-46.

[24] Die Termini ancestral language beziehungsweise words of ancestors prägte James Fox im Zusammenhang mit der Untersuchung der Rotinese ritual language (Our ancestors spoke in pairs: Rotinese views of language, dialect, and code, in: Bauman, R. & J. Sherzer, Explorations in the ethnography of speaking, Cambridge University Press, 1974:83 83 sowie ders.: speak in pairs, 13).

[25] Dabei handelt es sich um eine Situation, in der ein ursprünglicher Sprecher und ein späterer Hörer weder denselben Raum noch derselben Zeit angehören (Diachronie). Vgl. Konrad Ehrlich, Text und sprachliches Verstehen. Die Entstehung von Texten aus dem Bedürfnis nach Überlieferung, in: A. und J. Assmann und Ch. Hardmeier (Hg.), Schrift und Gedächtnis. Beiträge zur Archäologie der literarischen Kommunikation, München, 1983:32.

[26] Für die Unterscheidung prime speaker und proximate speaker vgl. John W. Du Bois, Self-evidence and ritual speech, in: W. Chafe und J. Nichols (Hg.), Evidentiality. The linguistic coding of epistomology, Norwood, 1986:323-324. Als prime speaker bezeichnet Du Bois in seinem Aufsatz the individual who is originally responsible for framing the proposition, the original performer of the illocutionary act, während ein proximate speaker derjenige ist, who actually utters the sentence, the performer of the utterance act.

[27] Eine andere, häufig verwendete Alternative wäre zum Beispiel: in ka tonin anle`un // in ka a`an anleu`n (diese Rede ist nicht schlecht // diese Worte sind nicht falsch).

[28] In Anlehnung an Klaus Koch und Jan Assmann kann der Tonis-Vers in ka tonin on me // in ka a`an on me als Botenvers bezeichnet werden. Klaus Koch spricht im Zusammenhang mit den Sprüchen der alttestamentlichen Propheten von einer Botenformel oder Proklamationsformel: Die Forschung pflegt hier von Botenformel zu reden und deren Aufgabe darin zu erblicken, den Nabi als Mund der Gottheit zu legitimieren. Ebensogut könnte man von Proklamationsformel sprechen, da dadurch der Inhalt der nachfolgenden Aussage nicht nur in seiner Bedeutung als Gott entstammend hervorgekehrt wird, sondern auch für die Zukunft als gültig und nur noch bedingt abwendbar erklärt wird (Die Profeten, Bd.1: Assyrische Zeit, Stuttgart, 1978; zum Begriff Botenformel als sach- und sinngetreue Wiedergabe einer Botschaft vgl. auch Jan Assmann, Das kulturelle Gedächtnis. Schrift, Erinnerung und politische Identität in frühen Hochkulturen, München, 1992:103).


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