Sonntag, 8. März 2020

Die mündlichen Dichtungen aus Kuan Fatu

Die Atoin Meto in Amanuban, Westtimor, verwenden in ihren Ritualen eine literarische Form der Rede, die für andere Kulturen Ostindonesiens ungenau als ritual language bezeichnet wurde. Thematisch beziehen sich die von mir Tonis genannten Dichtungen der Atoin Meto auf historische Überlieferungen einzelner Namengruppen (kanaf), durch die diese ihre gemeinsame Identität begründen, stabilisieren und bewahren. Die mit Abstand wichtigsten Themen erläutern die Herkunft von Namengruppen sowie deren gegenseitige Beziehungen, den Ursprung und die Berechtigung der bestehenden sozialen und politischen Ordnung sowie die Beziehungen dieser Gruppen zu ihrem Siedlungsraum.

Freitag, 28. Februar 2020

Neon Apinat, Neon Aklahat


Eine Zeugenformel der rituellen Rede

Das parallele Lexempaar Neno Pinat, Neon Aklahat oder variiert Neon Apinat, Neon Aklahat nennt den Uis Banam, den obersten Regenten der Nope-Dynastie, bei seinem machtvollsten Titel, und ruft diesen als Zeugen für die Richtigkeit des Inhalts einer Tonis-Dichtung an. Uis Banam ist der Titel des Herrschers (usi) des feudalen Amanubans. Er war für Jahrhunderte, unterstellt man den Atoin Meto die europäische Adelsnomenklatur, der König von Banam. Das Substantiv usi, metathesiert uis, ist die Titulatur, mit der ranghöchste der politischen Funktionsträger der Aristokratie des feudalen Amanubans angeredet wurde. Seine Vasallen, die mit ihm alliierten Verbündeten, die untergebenen Fürsten der einzelnen Territorien, wurden wie ein Usif genannt.
Das Uab Meto kennt aber das Verb na=uis, das im Kontext der christlichen Liturgie in der Bedeutung von verehren, huldigen, Gott Ehre und Respekt bezeugen, verwendet wird. Während der Titel usi allein für den obersten Regenten des feudalen Gesellschaftssystems reserviert war, redete man die Repräsentanten der exekutiven Funktionen der feudalen Bürokratie mit usif an. Das Verb nauis drückt nun genau die Empfindungen aus, die die Bevölkerung des feudalen Amanuban einst ihren Herren und Herrschern (tuan / usi) bis heute entgegenbringen.

Samstag, 15. Februar 2020

Die Protagonisten der Kuan Fatu-Chronik


Ton und Finit, Babis und Sapai

Die Tonis-Dichtungen aus Kuan Fatu, heute ein indonesisches Dorf in Südamanuban, berichten über Themen der regionalen Geschichte der vorindonesischen Bevölkerung der Domäne Kuan Fatu, deren Grenzen weit über die des rezenten Dorfs hinausgehen, und die geprägt sind von der politischen Herrschaft von vier alliierten Namengruppen: Ton und Finit, Babis und Sapai, verwandtschaftlich verbundene Gruppen, die parallel zur indonesischen Adminstration auch heute noch inoffiziellen politischen Einfluss in dieser Domäne ausüben. Die Funktion der Texte der Kuan Fatu-Chronik besteht darin, von ihrer Herkunft, von den Taten ihrer Ahnen, historischen Ereignissen, ihren gegenseitigen Beziehungen sowie von der Legitimierung ihrer Herrschaft über das Territorium Kuan Fatu zu erzählen. Das Eigennamenbündel Ton und Finit, Babis und Sapai in diesen Erzählungen, repräsentiert diese vier Namengruppen, die auch mit dem mittelalterlichen europäischen Terminus Adel bezeichnet werden können. [1]

Ein Held der Kuan Fatu-Chronik, über den die Erzählung Der Abi Loemnanu-Krieg berichtet, ist der magisch mächtige Krieger-Kopfjäger Ni Nope Sanak, der apical ancestor der heute in Südamanuban lebenden Namengruppe Sapay. Der Mitproduzent der Kuan Fatu-Chronik, der Dichter-Sprecher J.Ch. Sapay, ist ein direkter Nachfahre des vor 13 Generationen lebenden Nope Sanak. Im Abi-Krieg schildert Sapay, wie die Domäne Kuan Fatu, mit dem Meo Nae Sole Le`u an der Spitze der politischen Hierarchie, als Resultat dieses Krieges im späten 17. Jahrhundert entstand. Er erzählt auch vom Schicksal der in die kriegerischen Ereignisse verwickelten und durch diese entwurzelten Namengruppen Ton, Finit, Babis und Sapai:

Samstag, 18. Januar 2020

Unser Wunsch ist erwacht!

Das Studium regionaler Geschichte in Amanuban

Welchen Wert hat die Auseinandersetzung mit den historischen Überlieferungen einer kleinen Ethnie am Rand der Welt in einer Zeit, deren Zeichen eindeutig auf die kulturelle Nivellierung der Menschheit unter die Hegemonie westlicher Normen und Werte eingestellt sind?
Welchen Wert hat die Auseinandersetzung mit den historischen Überlieferungen einer kleinen Ethnie am Rand der Welt in einer Zeit, in der ein Klimawandel, der inzwischen Klimakrise genannt werden muss, in der religiöser Fundamentalismus grassiert und geopolitische Konflikte noch immer militärisch gelöst werden, in der ein global operierender wirtschaftlicher Neoliberalismus unvorstellbare Armut verursacht, und die Menschheit auf einem, vielleicht irreversibel beschädigten Planeten lebt. Unsere Zeit ist eine prekäre Zeit, in der niemand weiß, ob es wieder besser wird. Welchen Wert hat das Studium regionaler, historischer Überlieferungen am Rand der Ökumene angesichts der großen globalen Herausforderungen unserer Zeit überhaupt?

Sonntag, 12. Januar 2020

Juristische Legitimation der Grenzen Kuan Fatus


Vorbemerkung

Diese folgende Urkunde befindet sich im Besitz von Charles Zeth Babys, Keluruhan Oebesa (Soë, Amanuban Barat), und wurde von ihm zur Veröffentlichung freigegeben. Er zeigte sie mir im September 1991 als Beweis seiner Landrechte und seiner Herkunft. Die Bezeichnung Pah Tuaf, Herr des Bodens, im Text der Urkunde, bestätigt diese Rechte (für die Übersetzung des gesamten Texts ins Deutsche s.u.).
Der Titel Pah Tuaf wird aus zwei Subataniven des Uab Meto gebildet: pah, Land im Sinn von politischem, nationalem, ethnischem Territorium, Siedlungsraum oder Region; tuaf, ein Derivat von tuan, Herr, ist derjenige, der etwas besitzt, wie Ländereien, Güter oder Prestige. Der gleiche Titel kann auch für die entsprechende Namengruppe (kanaf) verwendet werden, da sie dieses Territorium einst zuerst in Besitz genommen hat. Aus dieser ersten Inbesitznahme leiten sich für diese Namengruppe bestimmte rituelle, ökonomische und sozio-politische Rechte ab. Clarke E. Cunningham hat die nach der Ankunft einzelner Abstammungsgruppen im Territorium geregelte Hierarchie und deren gegenseitige Beziehungen für das Desa Soba in Amarasi (Südwesttimor) beispielhaft beschrieben (Categories of descend groups in a Timor village, Oceania 37, 1966::13-21).

Freitag, 10. Januar 2020

Seo, Sapay und Babys


Urheber und Textproduzenten der Kuan Fatu-Chronik

Drei Persönlichkeiten aus Amanuban, Charles Zeth Babys (Oebesa, Westamanuban), Johan Christian Sapay (Nakmofa, Südamanuban) und Musa Leni Seo (Kele, Südamanuban), waren übereingekommen, die mündlichen Dichtungen ihrer regionalen Geschichte mit meiner Hilfe zu dokumentieren und zu verschriftlichen, damit sie für die folgenden Generationen bewahrt werden. Sie waren nicht die einzigen, aber die wichtigsten, denn ohne ihr Engagement und ihre Beziehungen - zu indonesischen Behörden, den beiden Konfessionen und Repräsentanten einflussreicher Namengruppen in Südamanuban - wäre dieses Projekt nicht zustande gekommen. Ihnen allen gebührt mein Dank.

Charles Zeth Babys

Charles Zeth Babys, eine charismatische Persönlichkeit Mitte fünfzig mit einer jahrzehntelangen Sozialisation in der indonesischen Bürokratie, war während meiner Anwesenheit in Amanuban mein Nachbar in Oebesa mit regelmäßigen familiären Kontakten. Früher war er als Lehrer beschäftigt, jetzt ist er Vorsitzender der Partai Demokrasi Indonesia (PDI) im Kabupaten Timor Tengah Selatan (TTS), Vize-Sekretär (Wakil Sekretaris) der Provinzverwaltung (Nusa Tenggara Timur) in Kantor Gubernor in Kupang sowie Vorsitzender einer freien Trägerorganisation, der Yayasan-Stiftung (Yayasan Kasimo), die soziale, und landwirtschaftliche Entwicklungsprojekte in TTS durchführt. Darüber hinaus engagiert er sich im Vorstand der Kirchengemeinde der Gereja Katolik St. Maria Mater Dolorosa.

Montag, 6. Januar 2020

Mein Weg nach Kuan Fatu


Als ich 1989 nach Westtimor kam, wusste ich nur, was in der einschlägigen ethnographischen Literatur zu finden war. Ein Jahr vorher hatte ich meinen Magister in Völkerkunde an der Universität zu Köln erworben. Nach Amanuban kam ich als ein Greenhorn und blutiger Anfänger, der sich eine ethnologische Feldforschung in den Kopf gesetzt hatte, von der ich seit meiner Kindheit träumte. In den beiden Weblogs Das Indonesische Tagebuch und Amanuban Mon Amour schreibe ich seit Jahren fortlaufend über meine Erfahrungen aus diesen Jahren im Feld.

Hermann Fiedler bereiste 1929 Timor, die größte Insel Ostindonesiens. In Form einer in diesen Jahren üblichen ethnographischen Monographie beschrieb er anschaulich die beiden naturräumlichen Landschaften Westtimors, die auch Amanuban charakterisieren. Über die im Südwesten bis an den Fluß Noel Mina reichende Bena-Ebene schreibt er: Die Berge treten nun an der Küste, die bald ganz Ost-West verläuft, mehr und mehr zurück, Raum lassend für eine große Ebene in Länge von 50 km, bei 5, 8, 10-14 km Breite. Die größte Breite erreicht sie fast an der Westgrenze am Lauf des Noil Mina (...). Aber diese große Ebene, eine riesige Grasfläche mit Lontarpalmen und nach den Hügeln des Binnenlandes zu mit Gruppen von Akazien, Kusambi, Tamarinden u.a., ist nicht bebaut oder bewohnt.