Sonntag, 1. August 2021

Ein unerwartetes Ende


Mein Empfang in Noe Muke

Es geschah im Mai 1992, möglicherweise auch etwas früher. Die Regenzeit ging zu Ende, war vielleicht auch schon vorüber. Das Historiker-Seminar in Nai Lete, von dem bisher die Rede war, lag Wochen zurück, die Übersetzung der Texte und die exegtischen Interviews waren abgeschlossen. Doch J.Ch. Sapays Ambitionen und Pläne gingen darüber hinaus. Ein zweites Seminar schwebte ihm vor, ähnlich dem bereits abgeschlossenen Projekt, und ich selbst war begeistert von dem Gedanken, dass es weitergehen würde. Sapai und ich fuhren mit dem Motorrad nach Noe Muke in Südamanuban. Wir mussten einen Fluss queren, das Wasser stand uns bis an die Knie, und der Boden war von Löchern und Steinen übersät, sodass ich befürchtete, im nächsten Moment zu stürzen. Ich kam mit triefend nassen Hosenbeinen und Schuhen in den Ort. Sapai hatte Flip Flops an den Füßen, denen das Wasser nichts ausmachte, und seinen Mau auf die Oberschenkel hochgezogen. Die Kirche war gefüllt, uns erwartete ein zahlreiches Publikum, denn unser Kuan Fatu-Projekt war im Süden Amanubans ein Gesprächsthema.

Mittwoch, 14. Juli 2021

Landnahme in Kuan Fatu - Die Erzählung


Vorbemerkung

Die folgende umgangssprachliche Erzählung bildet den Kommentar zu der gleichnamigen Dichtung Landnahme in Kuan Fatu. In seiner Rede erinnert J.Ch. Sapay an die Ankunft von vier prominenten Namengruppen - Na`at, Sakan, Nubatonis und Bianome - im Lamu sowie an die Vergabe von Lehen durch den Meo Nae Sole. In seiner umgangssprachlichen Nacherzählung weicht er an einigen Stellen von seiner Tonis-Darstellung ab, wie üblich für diese, allein für das Verständnis Außenstehender verfassten Texte, ergänzt sie aber um einige wichtige Details. Dieser Text ist der letzte der Kuan Fatu-Chronik, der im Rahmen des Historiker-Seminars in der Nacht zum 14. Februar 1992 in Nai Lete vorgetragen wurde. Eine weitere Tonis-Dichtung, die J.Ch. Sapay eine Woche später in Noe Muke vor großem Publikum vortrug, und die die Beziehungen zwischen Kuan Fatu und Noe Muke thematisierte, konnte wegen der Intervetion der indonesischen Administration, die dazu führte, dass meine Arbeits- und Aufenthaltsgenehmigung nicht mehr verlägnert wurde, weder abgeschlossen noch ausgewertet werden.

Donnerstag, 17. Juni 2021

Landnahme in Kuan Fatu - Die Dichtung


Vorbemerkung

Dieser mit Abstand längste Text der Kuan Fatu-Chronik, er umfasst 372 Verse, ist die zuletzt vorgetragene Tonis-Dichtung des Historiker-Seminars von Nai Lete. Erwägt man die vielen Verse sowie die in mehrere leicht erkennbare Textsegmente gegliederte Dichtung, entsteht der Eindruck, dass es sich um vier Einzeldichtungen handelt, die aus dem Grund ans Ende zu kommen, in einem Text versammelt wurden. Die Tonis-Dichtung Das Land Kuan Fatu (Dichtung und Erzählung) behandelt bereits die territoriale und politische Struktur sowie die Grenzen der Sub-Territorien von Kuan Fatus politischen Gruppen (kanaf, Namengruppe), die diese Territorien kontrollierten. Im Unterschied dazu bezieht sich diese Dichtung explizit auf vier individuelle Namengruppen. Eine parallele Lektüre dieser Dichtung erhellt manches Detail des vorliegenden Texts, das ich in diesem Kontext nicht wiederhole.
Der vorliegende Text berichtet von weiteren Migrationen in den Lamu, und der damit verbundenen Bitte der Neuankömmlinge an die Herren des Bodens um Siedlungsland. Er überliefert auch die Geschichte vier weiterer Verbündeter der politischen Allianz Kuan Fatus, erzählt von der rituellen Übertragung des Landes, von allianzstiftenden Heiraten und den dazu notwendigen Tauschtransaktionen. Er bezieht sich auf Episoden aus der regionalen Geschichte der Namengruppen Na`at, Sakan, Nubatonis und Bianome, von ihrer Begegnung mit den Herren und Krieger-Kopfjägern des Landes, den Nai Lamu und Meo Lamu Ton, Finit, Babis und Sapai, sowie von ihnen übertragenen Funktionen für die Polis.
J.Ch. Sapay trug diese Dichtung in der Nacht vom 14. Februar 1992 unter dem großen Lopo von Nai Lete vor. Bevor er die politischen Beziehungen legitimiert, die zwischen den beteiligten Namengruppen bestehen, ihren Ursprung und ihre historische Relevanz erläutert, knüpft er erneut an das grundlegende Thema der Kuan Fatu-Chronik an: an die Berufung und Einsetzung der Krieger-Kopfjäger Banams (Meo Naek Banam) durch Tubani Nope, bechränkt sich in diesem Zusammenhang allerdings auf die Namengruppen Babis (Sole) und Nabuasa`.
Bedauerlicherweise reichte die Zeit, die mir die indonesische Administration für eine ausführiche Bearbeitung dieser Dichtung ließ nicht aus, und ich musste ausreisen, bevor alle Interviews und Exegesen möglich waren. Diesem Sachverhalt ist es auch geschuldet, dass die Geschichte dieser vier Namengruppen nicht vertieft werden konnte, sodass nur wenige Details ihrer sozialen und politischen Beziehungen mit den Herrschern Kuan Fatus in Erfahrung gebracht werden konnten. Leider trägt dieses Mal auch die umgangsprachliche Erzählung wenig zu diesem Thema bei.

Donnerstag, 6. Mai 2021

Die Keile und Stäbe des Waldes - Die Erzählung


Vorbemerkung

In dieser umgangssprachlichen Erzählung, die einen Kommentar zu der gleichnamigen Dichtung Lasi Meo Lamu bildet, erinnert Leni Musa Seo an wichtige Verbündete des Meo Nae Ni Sole. Die Personen, die er nennt, waren Krieger-Kopfjäger der politischen Organisation Kuan Fatus, militärische Funktionäre. Sie tragen diese Vergangenheit mit Stolz und sind sich dieses Amts und Titels auch im modernen Amanuban noch sehr bewusst. Seo bezeichnet sie als amaf, Würdenträger der mittleren administrativen Hierarchie. Metaphorisch nennt er sie Stütze und Stab von Ton und Finit, Babis und Sapai in Nai Lete. In der umgangssprachlichen Nacherzählung weicht er von seiner Tonis-Darstellung ab, wie üblich für diese, allein für das Verständnis Außenstehender verfassten Texte, ergänzt diese aber auch um einige wichtige Details.

Der Krieger-Kopfjäger Ni Tabun: Vers 9 - 26

Früher schlossen unsere Grenzen, unsere Grenzmarkierungen, Ni Tabun und Ni Leni Besi mit ein, am Fuß des Flusses, am Kopf des Flusses, wo die beiden zusammentrafen. Damit er im Zentrum wohnen kann, in der Mitte, bis an den Fuß des Flusses, am Kopf des Flusses, sind wir die beiden Stäbe, die beiden Widerstände. Deshalb nahmen unsere Väter, die vier Stiere und die vier Männer in Mae und Nai Lete, in Kua Muke und Bi Taek, nämlich Ton und Finit, Babis und Sapai, sie auf ihren Rücken und hoben sie auf den Schoß, bedeckten sie, und hielten sie in ihren geschlossenen Händen, damit sie die zwei Stäbe und die zwei Köpfe wurden.

Freitag, 16. April 2021

Die Keile und Stäbe des Waldes - Die Dichtung



Vorbemerkung

Die Tonis-Dichtung Lasi Meo Lamu erzählt von bedeutenden Krieger-Kopfjägern des Lamu, ihrer Herkunft sowie ihrer Beziehung zu Sole Le`u und der herrschenden Klasse von Kuan Fatu. Sie erinnert an Ni Tabun, Ni Seo, Ni Baefeto und Ni Tkela.
Leni Musa Seo trug diese Dichtung in der Nacht vom 14. Februar 1992 unter dem großen Lopo von Nai Lete vor. Anders als die Tonis-Dichtungen von J.Ch. Sapay, die umfangreicher und detailreicher sind, komponiert Seo minimalistische Texte, die sich auf Wesentliches konzentrieren. Es besteht ein charakteristischer Unterschied zwischen den Stilen der beiden Dichter-Sprecher: Der größere Detailreichtung der Dichtungen Sapays machen das Verständnis leichter, während Seos Texte insgesamt esoterischer wirken und ein erheblich umfangreicheres Vorverständnis des Publikums voraussetzen. Dies zeigt sich schon auf den ersten Blick: Seo kommt für die Präsentation seiner Inhalte mit weitaus weniger Versen aus als Sapay. Seine Aussagen sind klarer und schnörkellos, während Sapay mit eingefügten, zusätzlichen Erklärungen arbeitet, wodurch seine Texte oft doppelt so lang werden wie die seines Kollegen. Dieser Unterschied liegt vor allem an der verschiedenen Sozalisation und Ausbildung beider Dichter-Sprecher. Sapay, der Autodidakt, mit höherer Schulbildung und Lehrerberuf, sowie einem Berufsleben in der indonesischen Bürokratie mit vielfältigen Kontakten in die Provinzhauptstadt Soë, Seo, der Analphabet mit seiner Funktion als Mafefa in der informellen politischen Organisation Kuan Fatus, und einem Leben im Umfeld dörflicher und bäuerlicher Strukturen.

Dienstag, 17. November 2020

Der Fürst im Lamu - Die Erzählung


Vorbemerkung

Die umgangssprachliche Erzählung über Nai Lobis Nope, dem Usif Bi Lamu, wurde in der Nacht des 13. Februars 1992 während des ersten Historiker-Seminars in Nai Lete, Kuan Fatu, von J.Ch. Sapay vorgetragen. Der Text folgt weitgehend der gleichnamigen Tonis-Dichtung. Beide Textsorten erzählen die gleiche Geschichte, weichen jedoch geringfügig voneinander ab. Die umgangssprachliche Erzählung dient in diesem Zusamenhang dem bessereren Verständnis der minimalistischen Versbildung.

Nai ist die respektvolle Anrede für Mitglieder der herrschenden Klasse, vergleichbar dem europäischen Sir für Ritter oder ähnliche Würdenträger der Aristokratie (vgl.a. Tetun rai, Erde). Im Gegensatz dazu werden Honoratioren mit dem Titel Ni angesprochen, der dem Eigennamen vorausgeht.

Lobis Nopes Ankunft im Lamu

Früher bildeten Ton und Finit, Babis und Sapai, mit dem Feto Nae eine Einheit, nämlich mit Tino und Finit, mit Toni und Boni. Gemeinsam sorgten die Feto Nae für die jährlichen Erntetribute (poni ma bo): für das mit Reis gefüllte Palmblattpäckchen (flol pis tele), das Schwein mit dem menschlichen Körper (faif ao atoni), für Gartenfrüchte im Überfluss (nensa ma pehe) sowie für Körbchen voll mit Betel (kabin ma mama). Die Areka- und Kokosnusssprösslinge, die kleine Luangbanane und das große Zuckerrohr, all dies trugen sie auf Kopf und Schulter in Nopes Palast nach Niki Niki. Mit diesen Gaben ernährten und fütterten sie unseren Herrn und unseren Herrscher, unsere Mutter und unseren Vater Ni Koli, Ni Toli, Ni Amu, Ni Nope, Ni Nuban und Ni Toi, in Klaban und Tain Lasi, Maunu und Niki Niki.

Dienstag, 1. September 2020

Der Fürst im Lamu - Die Dichtung


Vorbemerkung

Die Tonis-Dichtung Usif Bi Lamu (oder der Boimau-Krieg, Makenat Boimau) überliefert einen Konflikt zwischen Uis Banam Nopes Sohn Lobis, der als Repräsentant seines Vaters in den Lamu kam, dort nach Kualin heiratete und von Klis Boimau, einem seiner Feto Nae, ermordet wurde. In dieser Zeit war Bil Nope Uis Banam. Die Nope-Genealogie führt den Namen Bil zweimal auf: Seo Bil in der dritten (spätes 17. Jahrhundert) und Bil in der elften Generation (um 1906 nach A. McWilliam), sodass ich mir nicht ganz sicher bin, um welchen Bil es sich in dieser Überlieferung handelt. Da Seo Bil der Vater von Tubani ist, der die Expansionskriege zur Vergrößerung Banams führte, handelt es sich in dieser Überlieferung sehr wahrscheinlich um den Bil Nope, der Anfang des 20. Jahrhunderts der Uis Banam war. Die auf Boimaus Attentat folgende Auseinandersetzung endete auch für die Herren von Kuan Fatu fatal und führte zu ihrer zeitweisen Vertreibung über den Noel Mina.
J.Ch. Sapay trug diese Überlieferung in der Nacht des 13. Februars 1992 während des ersten Historiker-Seminars in Nai Lete, Kuan Fatu, vor. Die Übersetzung dieser mündlichen Dichtung ins Deutsche ist, wie bisher gehandhabt, ebenfalls keine Interlinear-, sondern eine freie Übersetzung, die dem Fluß der Erzählung und der besseren Lesbarkeit den Vorzug vor einer sprachwissenschaftlichen Analyse gibt. Exemplarisch habe ich eine Tonis-Dichtung der Atoin Meto - Der Abi Loemnanu-Krieg - in Die Kuan Fatu-Chronik wissenschaftlich bearbeitet.